Göring: Eine Karriere (German Edition)
Ribbentrop in jene Rolle, die Göring beim »Anschluss« Österreichs gespielt hatte. Formal blieb Göring zwar der »zweite Mann« im Staate, tatsächlich aber begann seine Machtposition zu bröckeln.
»Erpressung, gepaart mit Säbelrasseln«: Die Münchner Konferenz war Görings letzter außenpolitischerErfolg
Der Antisemit
Bei den Feierlichkeiten in München war von einem Riss in der Beziehung von Hitler zu Göring nichts zu spüren; vor der Öffentlichkeit blieb der Schein der Einheit zwischen dem »Führer« und seinem »treuesten Paladin« gewahrt. In großer Menge säumte die Münchner Bevölkerung, für die der 9. November ein inoffizieller Feiertag war, den Straßenrand. Die Fenster und Balkone waren voll mit Neugierigen, die einen Blick auf die vorbeiziehende Parteiprominenz zu erhaschen suchten. Wie jedes Jahr zog diese im Gedenken an den gescheiterten Putsch von 1923 vom Bürgerbräukeller zur Feldherrnhalle und von da aus weiter zum Königsplatz, wo Hitler an den Sarkophagen der bei der Revolte umgekommenen nationalsozialistischen »Märtyrer« mit diesen »stumme Zwiesprache« hielt. Wie jedes Jahr marschierte Göring in der ersten Reihe – ein Foto zeigt seine füllige Gestalt an der rechten Seite des etwa gleich großen Hitler. Jedes Mal, wenn die Führungsgruppe einen der 16 Pylonen passierte, die entlang der Marschroute aufgestellt waren, erschallte aus Lautsprechern der Name eines der erschossenen Putschisten. Inmitten des makabren Totenspektakels, das vom Rundfunk live übertragen wurde, mag Göring zuweilen gedacht haben, wie nahe er selbst daran gewesen war, als einer dieser toten »Helden« zu enden.
Am Rande der Feierlichkeiten führte er an diesem Tag ein längeres Gespräch mit Hitler. Diesmal ging es nicht um neue Eroberungen, sondern um die so genannte »Judenfrage«. Der Führer habe ihm erklärt, rekapitulierte Göring das Gespräch drei Tage später, er werde eine außenpolitische Aktion starten und den Mächten, die sich für die Juden einsetzten, sagen: »Was redet ihr immer von den Juden? Nehmt sie!« Anlass für die erregte Äußerung Hitlers war ein Anschlag zwei Tage zuvor in Paris, bei dem ein siebzehnjähriger Jude namens Herschel Grynszpan in der deutschen Botschaft auf den Legationsrat Ernst vom Rath mehrere Schüsse abgefeuert und diesen lebensgefährlich verletzt hatte. Mit der Tat wollte der Jugendliche gegen das Schicksal seiner Familie protestieren, die Ende Oktober mit 17 000 anderen Juden in einer spektakulären Nacht-und-Nebel-Aktion über die Grenze nach Polen gejagt worden war, dessen Staatsangehörigkeit sie, obwohl seit langem in Deutschland ansässig, noch immer besaß. Ohne Verpflegung und Unterkunft campierten die Vertriebenen wochenlang in einem Niemandsland an der Grenze, da die überraschten Polen ihre Einreise zunächst verweigerten.
Das Attentat war für Hitler ein willkommener Anlass, die 1933 begonnene Politik der Entrechtung und Austreibung der Juden aus Deutschland neu zu forcieren. Während Ernst vom Rath in einem Pariser Krankenhaus um sein Leben rang, berichtete die Presse auf Weisung des Propagandaministeriums in großer Aufmachung über den Anschlag und drohte schwere Folgen für die Juden in Deutschland an. Mit einem bloßen Appell an das Ausland, mehr deutsche Juden bei sich aufzunehmen, würde Hitler sich kaum begnügen, zumindest diese Einsicht dürfte Göring aus ihrem Gespräch und der Stimmungsmache in der Presse mitgenommen haben. Dass er noch mehr wusste, ist vermutet, aber nie bewiesen worden.
»Was redet ihr immer von den Juden?«: Hitler und Göring am Rande der Feiern zum Jahrestag des Hitlerputsches in München, 9. November 1938
Während Göring nach dem Gespräch mit einem Sonderzug nach Berlin zurückkehrte, mussten Hitler und Goebbels am Abend des 9. November noch einen weiteren Termin wahrnehmen. Der Gauleiter von München und Oberbayern hatte im Auftrag Hitlers die »alten Kämpfer« zu einem geselligen Zusammensein in den Festsaal des Alten Rathauses am Marienplatz eingeladen. Kurz vor Beginn der Feier traf aus Paris die Nachricht ein, dass vom Rath seinen Verletzungen erlegen sei. Goebbels, der gerade wegen seiner Affäre mit der tschechischen Schauspielerin Lida Baarova bei Hitler in Ungnade war, sah seine Chance, sich neu zu profilieren. Inmitten des Trubels ließ er sich von seinem »Führer« Vollmacht geben, den Mord als Vorwand für einen kaltblütig inszenierten »Racheakt« zu benutzen. Als Hitler
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