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Göring: Eine Karriere (German Edition)

Göring: Eine Karriere (German Edition)

Titel: Göring: Eine Karriere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Knopp
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gegen 22 Uhr das Fest verließ, hob Goebbels an zu einer wüsten antisemitischen Hetzrede, die in der Forderung gipfelte, dass der Mord eine Sühne verlange. Zwar dürfe die Partei nicht selbst tätig werden, erklärte er den Anwesenden, doch habe Hitler auf seinen Vortrag hin entschieden, dass den bereits laufenden und noch zu erwartenden »spontanen« Übergriffen auf jüdische Geschäfte und Synagogen nicht entgegenzutreten sei.
    Die Festgäste nahmen die Rede als das, was sie war: als kaschierte Aufforderung, so schnell wie möglich »spontane« Übergriffe zu inszenieren. »Stürmischer Beifall«, notierte Goebbels befriedigt in sein Tagebuch. »Alles saust gleich an die Telefone. Nun wird das Volk handeln.« Doch nicht das Volk wurde aktiv, sondern die Gefolgschaft in der Partei. Auf Befehl ihrer Führer schlugen SA, SS und ihre Helfer noch in der Nacht im ganzen Reich los. Synagogen, Geschäfte und Wohnungen wurden zu Trümmerfeldern, während Greifkommandos Jagd auf ihre jüdischen Besitzer machten. Über 400 Juden wurden in den nächsten Tagen ermordet oder in den Selbstmord getrieben, 30 000 jüdische Männer in Konzentrationslager verschleppt. In einer in Deutschland beispiellosen Orgie der Gewalt wurden über 1400 Synagogen zerstört, mehr als 7500 Geschäfte verwüstet und geplündert. Nach dem Glas der tausendfach zerschlagenen Fenster prägte der Berliner Volksmund für den ungeheuren Zivilisationsbruch bald den ironischen Begriff »Reichskristallnacht«.
    Während in ganz Deutschland die Synagogen in Flammen aufgingen, war Göring in einem luxuriösen Sonderzug nach Berlin unterwegs. Erst bei der Ankunft dort, dies gab er später in Nürnberg zu Protokoll, habe er von den Ausschreitungen erfahren und sei empört gewesen – freilich nicht wegen der Gewalt gegen unschuldige Menschen, sondern wegen der damit einhergehenden Zerstörung von Sachgütern, wie erhaltene Dokumente belegen. Noch am 10. November rief er Hitler in München an und wies ihn auf die schädlichen Folgen der »Goebbels-Aktion« für die deutsche Wirtschaft hin. In einer Zeit, in der er die Deutschen auffordern müsse »jede alte Zahnpastatube, jeden rostigen Nagel, jedes Altmaterial zu sammeln«, seien mit einem Schlag riesige wirtschaftliche Werte vernichtet worden. Auch außenpolitisch sei die Aktion, gerade nach der Münchner Konferenz, äußerst schädlich. Die gleiche Auffassung bekam »in sehr scharfen Worten« auch Goebbels zu hören.
    Was zunächst wie eine handfeste Führungskrise aussah, erwies sich freilich bald als Sturm im Wasserglas. Geschickt distanzierte sich Hitler von Goebbels’ Initiative, ohne diese im Grundsatz zu verdammen. Zugleich schmeichelte er Göring, indem er den Kritiker höchstpersönlich zum Beauftragten für die durch das Pogrom aus dem Gleis geratene Judenpolitik ernannte. Durch diese Zugeständnisse besänftigt, einigte sich Göring mit Hitler auf einen teuflischen Kompromiss: Statt die Pogrome fortzusetzen, die nur Verwüstungen anrichteten und das Reich in Misskredit brachten, wollten beide von den deutschen Juden lieber eine finanzielle Sühneleistung einfordern, die der durch die Rüstung ausgezehrten Staatskasse zugute käme. Großzügig setzte Göring eine Summe von einer Milliarde Reichsmark fest. Rechtliche Skrupel oder Mitleid mit den Opfern plagten ihn nicht.
    Zwei Tage später, am 12. November 1938, fand unter Görings Vorsitz im Reichsluftfahrtministerium eine große Sitzung statt, an der zahlreiche Minister, darunter Goebbels, Innenminister Frick, Wirtschaftsminister Funk, Finanzminister Schwerin von Krosigk, und der Chef der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, teilnahmen. Die »Judenfrage«, so leitete Göring die Konferenz ein, müsse jetzt koordiniert und »so oder so« erledigt werden. »Durch telefonischen Anruf bin ich gestern vom Führer noch einmal darauf hingewiesen worden, jetzt die entscheidenden Schritte zentral zusammenzufassen.« Damit fungierte unwidersprochen Göring als oberster Koordinator für die »Lösung der Judenfrage«. In einem kaum zu überbietenden Zynismus handelte er Punkt für Punkt der Tagesordnung ab. Er bedauerte die Ausschreitungen der letzten Tage und machte zugleich deutlich, dass es ihm nicht um die Opfer ging: »Mir wäre lieber gewesen, ihr hättet 200 Juden erschlagen und hättet nicht solche Werte vernichtet.« Da der Schaden nicht wieder gutzumachen war, wollte er ihn so weit wie möglich auf die Opfer abwälzen. Mit dem anwesenden Vertreter

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