Göring: Eine Karriere (German Edition)
Westmächten einigen wollte. Am 9. Oktober diktierte der »Führer« die Weisung Nr. 6 und erklärte in einer Denkschrift die militärische Vernichtung des Westens für notwendig. Die Würfel waren gefallen. Im November unternahm Göring einen letzten Versuch, Hitler und Ribbentrop vor den Risiken eines deutschen Angriffs im Westen zu warnen – vergeblich. Göring fügte sich und schwenkte um. In den nächsten Monaten des Krieges bemühte er sich, das verlorene Vertrauen seines »Führers« durch besonders martialisches Auftreten wieder wettzumachen.
Oben: »Den Krieg so menschlich wie möglich führen«?: Göring besucht während des Polenfeldzugseine Luftwaffeneinheit
Unten: »Neues Kapitel der Luftkriegsgeschichte«: Zerstörte Gebäude in Warschau, aufgenommen nach dem deutschen Einmarsch
Auf den Schlachtfeldern hatte er sich während des Polenfeldzugs nur selten gezeigt. Zu Beginn der Kämpfe wartete er in Berlin, bis Hitler von der Front zurückkehrte. Um den 18. September, als sich weder Briten noch Franzosen rührten, verlegte er sein Hauptquartier auf den »Reichsjägerhof« Rominten in Ostpreußen. Dort ging er auf Hirschjagd, als Polen zusammenbrach. Da der Krieg nun einmal da war, machte sich Göring bereitwillig zum Erfüllungsgehilfen der territorialen und »rassischen« Neugestaltung Europas. Im Herbst 1939 war er damit beschäftigt, den deutsch besetzten Teil Polens auszuplündern und die wertvollen Teile der polnischen Wirtschaft in die des Reiches zu integrieren. Als Vorsitzender des Reichsverteidigungsrats leitete Göring die entsprechenden »Führer«-Befehle an die zuständigen Minister weiter. Für die Günstlinge Hitlers schnitt man riesige »Reichsdomänen« aus dem besetzten Land heraus. Der polnische Klerus führe einen perfiden Kleinkrieg gegen die deutsche Besatzungsmacht, rechtfertigte Göring den plumpen Landraub. Bedenkenlos gab er im Auftrag Hitlers, der ihn in solch heiklen Dingen gerne vorschob, den Startschuss zu einer blutigen »Flurbereinigung«. Im Oktober setzte Göring seine Unterschrift unter den »Germanisierungserlass«, der Himmler bevollmächtigte, zehntausende polnische Intellektuelle zu ermorden.
Die militärischen Vorbereitungen für den »Fall Gelb«, den Angriff auf Frankreich, liefen bereits auf Hochtouren, als Johann Georg Elser, ein schwäbischer Zimmermann, am 8. November 1939 einen Mordanschlag auf Hitler verübte. Die Bombe, die der Attentäter mit Zeitzünder in einer Säule des Münchner Bürgerbräukellers versteckt hatte, verfehlte ihr Ziel nur durch Zufall. Früher als üblich hatte Hitler nach seiner traditionellen Rede zum Jahrestag des Hitlerputsches den Saal verlassen. Wenige Minuten später ging das Dynamit in die Luft und riss acht Personen in den Tod. Sein Tatmotiv, eine starke Kriegsangst, teilte der Attentäter mit vielen Menschen im damaligen Deutschland. Wäre es Elser gelungen, Hitler zu töten, so hätte Göring dessen Nachfolge angetreten. Vielleicht hätte er in Übereinstimmung mit konservativen Militärkreisen den Krieg beendet. Ob freilich ein Ausgleich mit Großbritannien und Frankreich noch möglich gewesen wäre, ist ungewiss. Niemand vermag zu sagen, ob Göring dem Druck der Briten nachgegeben und die Wehrmacht aus Polen abgezogen hätte. Eines aber ist sicher: Die spätere Ausweitung des Krieges, den Überfall auf die Sowjetunion, hätte Göring nicht befohlen. Auch den Holokaust hätte es in dieser Form wohl nicht gegeben. Wenn Göring der Weg aus dem Krieg gelungen wäre, hätte Deutschland dann vielleicht eine Entwicklung genommen wie das Spanien Francos? Würden dann noch heute Schulen und Straßen nach Göring benannt sein? Wäre die Erinnerung an seine Untaten verdrängt worden?
Die Geschichte hat es anders gewollt. Die »wunderbare Rettung« vor der Bombe Elsers bestärkte Hitler noch in seiner Entschlossenheit zum Angriff. Auch Göring rechtfertigte den Schlag gegen Frankreich gegenüber hohen Militärs jetzt mit dem Argument, man müsse England niederwerfen. Auf seine Vertrauten wirkte er gleichwohl unentschlossen. Wegen Schlechtwettermeldungen wurde der Angriff mehrfach verschoben, da Görings Luftwaffe nicht starten konnte. Tief besorgt konsultierte der Oberbefehlshaber einen Regenmacher. Von einem Wahrsager wollte er wissen, warum die Briten in Polen nicht eingegriffen hatten. Um der unerklärlichen Passivität der Alliierten auf den Grund zu gehen, nahm der zweite Mann im Reich sogar ein Pendel zu
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