Göring: Eine Karriere (German Edition)
Leben ein Ende zu setzen. Am 16. November fuhr er nachts nach Tempelhof und stieg noch einmal in sein Lieblingsflugzeug, eine Cognacflasche in der Hand. Am nächsten Morgen erschoss er sich in seiner Wohnung. Udets letzte Zeilen galten Göring: »Eiserner, Du hast mich verraten«, stand angeblich mit rotem Lippenstift am Kopfende seines Totenbettes geschrieben – »Eiserner« war Görings Spitzname aus der Zeit der Machtergreifung. Dass die radikale Konsequenz des Gescheiterten nicht zuletzt eine Folge von Görings Versagen war, daran gab es unter Udets Vertrauten kaum Zweifel: »Göring hat den falschen Mann an den falschen Platz gesetzt. Udet ist daran zugrunde gegangen. Göring hat gesagt, wenn Udet nicht Selbstmord begangen hätte, hätte er ihn vor ein Kriegsgericht gestellt, aber in Wirklichkeit gehörte Göring vor ein Kriegsgericht«, urteilt Richard Perlia, Testpilot unter Udet.
Jetzt müssen wir Abschied nehmen. Unfassbar ist uns der Gedanke, dass du, mein lieber Udet, nicht mehr unter uns weilst. … Und nun … kann ich eben nicht mehr sagen … mein bester Kamerad, leb wohl!
Göring auf der Trauerfeier für Udet
Aus Imagegründen wurde als Todesursache ein Flugunfall bekannt gegeben: Udet sei bei der »Erprobung einer neuen Waffe« umgekommen, hieß die offizielle Begründung. Beim pompösen Staatsbegräbnis für Udet führte Göring den Trauerzug an. »Ich habe meinen besten Freund verloren«, wollte der »Eiserne« die Öffentlichkeit mit tränenumflorter Stimme glauben machen. Richard Perlia durchschaute das Trugbild ebenso wie viele andere: »Das war so verlogen. Alle wussten, dass das nicht stimmt.« Ernst Udet wurde auf dem Berliner Invalidenfriedhof beigesetzt, in unmittelbarer Nähe des Grabs von Manfred von Richthofen, des legendären »Roten Barons«. Von Udets Grab fehlt heute jede Spur. Der kommunistische Ostberliner Magistrat ließ den Friedhof mit den Gräbern prominenter Militärs aus beiden Weltkriegen absichtlich verkommen, um die Erinnerung für immer auszulöschen.
Die Entscheidung
Nach Udets Tod gab es niemanden mehr, hinter dem sich Göring verstecken konnte. Mehr und mehr rückte der Reichsmarschall selbst in das Kreuzfeuer der Kritik, wenn es darum ging, einen Schuldigen für das Versagen der Luftwaffe und die eklatanten Fehler in der Rüstungsproduktion zu finden. Schlimmer noch: Hitlers Vertrauen in seinen Stellvertreter hatte gelitten. Anfang 1942 bekam Göring dies zu spüren. Am 8. Februar starb Fritz Todt, seit 1940 Reichsminister für Bewaffnung und Munition, bei einem Flugzeugabsturz über der Startbahn des »Führer«-Hauptquartiers »Wolfsschanze« in Ostpreußen. Der Verlust Todts, den er auch persönlich schätzte, traf Hitler empfindlich. Todt war nicht nur der führende Kopf beim Bau der Autobahnen und des Westwalls, sondern unter anderem auch für die Herstellung von Waffen und Munition, das Energiewesen und die Wasserstraßen zuständig gewesen.
Hitler reagierte schnell. Nur sechs Stunden nach dem Unglück ernannte er seinen Hofarchitekten Albert Speer, der sich zufällig in Rastenburg aufhielt, zum neuen Rüstungsminister. Kurz darauf erschien Göring zu einem lange geplanten Routinebesuch und bot sich selbst als Nachfolger Todts an. Albert Speer hielt diese Szene in seinen Erinnerungen fest: »Schwungvoll trat Göring ein und begann nach einigen kondolierenden Worten mit Vehemenz: ›Am besten, ich werde die Aufgaben von Dr. Todt im Vierjahresplan übernehmen. Dies würde die Reibungen und Schwierigkeiten vermeiden, die sich in der Vergangenheit aus seiner Stellung zu mir ergaben.‹… Hitler ging auf Görings Angebot mit keinem Wort ein: ›Ich habe den Nachfolger Todts bereits ernannt. Hier, Reichsminister Speer hat ab sofort alle Ämter Dr. Todts übernommen.‹ Die Sprache war so bestimmt, dass sie jede Widerrede ausschloss. Göring schien erschrocken und konsterniert.«
»Göring eine Zuständigkeit nach der anderen entwunden«: Albert Speer wurde nach seiner Ernennung zum Rüstungsminister der wichtigste Mann der deutschen Kriegswirtschaft
Die Ernennung Speers, eines Mannes der zweiten Garde und Günstlings Hitlers, war für den Reichsmarschall in der Tat eine schallende Ohrfeige – und dies umso mehr, als Göring seit Ende 1941 hinter den Kulissen am Stuhl seines Konkurrenten gesägt hatte. Vielleicht zweifelte er insgeheim selbst an seinen Erfolgsaussichten. Den Entwurf eines Erlasses, der ihn zum obersten Wirtschaftsboss und zum
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