Göring: Eine Karriere (German Edition)
Antwort auf den bis dahin wenig erfolgreichen Luftkrieg gegen das Deutsche Reich. Nicht einmal ein Drittel der Bomber hatte die angepeilten Ziele innerhalb von fünf Meilen getroffen. Den Bombenkrieg einzustellen war aus britischer Sicht undenkbar. Nur die Bomber konnten den Krieg tief nach Deutschland hineintragen – sie waren die einzige Offensivwaffe, über die Großbritannien verfügte. Da man mit der damaligen Technik nur Flächen- und keine Punktziele treffen konnte, war das »area bombing« von Städten die radikale Konsequenz. Obwohl der Flächenangriff ursprünglich eine Hilfsstrategie sein sollte, bis die Technik auch nächtliche Präzisionsangriffe erlauben würde, ging das Bomber Command von seinem neuen Kurs nicht mehr ab. Der Strategiewechsel wurde von einer wichtigen Personalentscheidung flankiert. Am 22. Februar 1942 übernahm Sir Arthur Harris das Oberkommando des Bomber Command. Harris, ein überzeugter Anhänger des unterschiedslosen Bombardements von militärischen und zivilen Zielen, war entschlossen, die neue Doktrin rücksichtslos anzuwenden.
Nur wenige Wochen später bekam die deutsche Bevölkerung zu spüren, was der britische Strategiewechsel in der Realität bedeutete. In der sternklaren Nacht vom 28. zum 29. März 1942 nahmen 234 britische Bomber Kurs auf Lübeck – ein Ziel, das weder wirtschaftlich noch industriell bedeutsam war. Die Wahl fiel auf Lübeck, weil die Stadt exponiert lag und die Piloten sie daher nachts leicht finden konnten. Außerdem bestand ihr Herzstück, der historische Altstadtkern, überwiegend aus Häusern mit Dachstühlen in leichter Holzbauweise – ein geradezu ideales Brennmaterial. 304 Tonnen Brandund Sprengbomben, darunter erstmals Flüssigkeitsbrandbomben, luden die RAF-Bomber ab. 32 Stunden lang wütete das Feuer, die Dachbalken brannten wie Zunder. Die Lübecker Altstadt wurde vollständig zerstört. Der verheerende Luftbrandkrieg hatte begonnen.
Zurzeit sind Bombardierungen das Wirksamste, womit wir die Moral des Feindes schwächen können.
Winston Churchill, 7. Oktober 1941
Görings Geschwader vermochten solche Angriffe nicht zu verhindern. Der Reichsmarschall stand daher unter einem ungeheuren Erwartungsdruck und war erpicht auf jede Gelegenheit, bei der er die militärische Schlagkraft seiner Truppe trotz alledem unter Beweis stellen konnte. Im Winter 1942 schien an der Ostfront noch einmal die Stunde der Luftwaffe gekommen. Am frühen Morgen des 19. November holten die Sowjets zu ihrer Winteroffensive aus. Rund 30 russische Divisionen griffen westlich und südlich von Stalingrad an, durchbrachen die schwache rumänische Verteidigung und standen am Abend bereits 35 Kilometer tief in der Flanke der deutschen 6. Armee. Den deutschen Panzern gelang es nicht, die Lücke zu schließen. Am 22. November war die 6. Armee unter Generalfeldmarschall Paulus mit 300 000 Soldaten vollständig eingekreist. Der eiserne Ring um Stalingrad hatte sich geschlossen. Für Hitler war die Schlacht um die Stadt, die Stalins Namen trug, eine Prestigeangelegenheit. Der »Führer« hatte im Lauf des Jahres mehrfach öffentlich verkündet, er werde Stalingrad erobern – koste es, was es wolle. Weil er als Oberbefehlshaber nicht das Gesicht verlieren wollte, schloss Hitler einen Rückzug kategorisch aus.
Hitler, nicht Göring, versprach am 21. November als Erster, die eingekesselte 6. Armee aus der Luft zu versorgen. Damit nahmen die Dinge ihren schicksalhaften Lauf. Der Oberbefehlshaber der Luftwaffe zögerte nicht lange. Ohne auch nur eine kritische Frage zu stellen, versprach er dem »Führer« telefonisch, seine Geschwader stünden zur Verfügung. Auf keinen Fall wollte der Reichsmarschall pessimistischer wirken als der Diktator. »›Hören Sie, Göring, wenn die Luftwaffe das nicht machen kann, dann ist die 6. Armee verloren.‹ So hat er mich beim Portepee gefasst, und da blieb mir gar nichts anderes übrig, als zuzustimmen, sonst wären ich und die Luftwaffe als schuldig dafür dagestanden, dass die 6. Armee verloren ging. So musste ich denn sagen: ›Mein Führer, wir machen die Sache!‹« So schilderte später Bruno Loerzer die Lage Görings.
Die vollmundige Zusicherung, die Göring gegeben hat, dass Stalingrad versorgt werden könne, zeugte von seinem Unverständnis gegenüber der Versorgungsfliegerei.
Günter Wolff, Transportflieger über Stalingrad
In der Luftwaffe gab es durchaus Skeptiker, die Hitler den Wahnsinnsplan ausreden wollten. Noch in der
Weitere Kostenlose Bücher