Göring: Eine Karriere (German Edition)
anzulasten. Sein Paladin wiederum zog feige den Kopf ein und wartete, bis sich der Sturm gelegt hatte. Erst dann wagte er sich wieder in die »Wolfsschanze«.
»Vorzeitige Grabrede«: Noch vor der Zerschlagung des Stalingrader Kessels verklärte Göring am 30. Januar 1943 in pathetischer Weise den angeblichen »Opfertod« der deutschen Soldaten
Der Feuersturm
Drei Tage vor dem Fall Stalingrads, am 30. Januar 1943, bombardierten Air-Force-Maschinen bei ihrem ersten Nachtangriff auf Berlin das Funkhaus in der Masurenallee. Der Reichsmarschall wollte gerade die ersten Worte seiner Rede zum zehnten Jahrestag der »Machtergreifung« ins Mikrofon sprechen, als er überhastet einen Luftschutzkeller aufsuchen musste. Das Jahr 1943 sollte in der Tat ein Jahr der Prüfung werden: für die deutsche Bevölkerung, die Luftwaffe und damit auch für Göring. Nun zeigten sich die fatalen Folgen versäumter, verspäteter oder falscher Entscheidungen in Luftrüstung und Luftstrategie. Trotz aller Anstrengungen war die deutsche Heimatverteidigung zu schwach, um das Reichsgebiet gegen die Angriffe der Amerikaner und Briten zu schützen. Verzweifelt kämpfte die Luftwaffe gegen die alliierte Übermacht an. Die feindlichen Geschwader ließen im fünften Kriegsjahr hunderttausende Tonnen Bomben auf Deutschland niedergehen. Infernalische Feuerstürme vernichteten Menschenleben, historische Bausubstanz und Naturlandschaften in bis dahin unvorstellbarer Größenordnung. Mit wachsender Sorge kalkulierte die NS-Führungsriege mögliche Folgen der alliierten Zermürbungsstrategie ein. Am 18. Februar schwor Joseph Goebbels die Deutschen in seiner berühmtberüchtigten Rede im Berliner Sportpalast auf den totalen Krieg ein.
Noch glaubten Görings Piloten, dem Feind Paroli bieten zu können. Kampfgeist mischte sich mit Angst. Hans-Eckehard Bob, der 1943 zur Reichsverteidigung kam, erinnert sich plastisch: »Zu jener Zeit flogen die Amerikaner noch Tagesangriffe ohne Jagdschutz, sodass wir noch ein gewisses Überlegenheitsgefühl hatten, obwohl wir wussten, dass diese so genannten fliegenden Festungen sehr stark bewaffnet waren. … Es war unheimlich, diese Riesenmaschinen zu sehen, wie sie langsam wie Greifarme über Deutschland hinzogen, und man hatte das Gefühl, die kannst du nie aufhalten. Jetzt ran! Die musst du aufhalten können. Und kannst du’s, ist die Frage.«
Göring selbst hatte inzwischen die Hoffnung aufgegeben, dass sich die Lage bessern würde. Am 18. März 1943 zitierte der Reichsmarschall die Luftfahrtindustriellen nach Carinhall. Die Anwesenden mussten sich eine saftige Standpauke über das vermeintliche Versagen der Industrie anhören. Vor allem bei den Navigations- und Zielfindungsgeräten leiste Deutschland zu wenig. Aufgebracht meinte Göring, »dass es überhaupt kindisch ist, hier einen Vergleich anstellen zu wollen«. Nicht anders sehe es bei den Flugzeugen aus: Die britische Spitfire sei jetzt auch dem deutschen Standardjäger Me 109 »absolut und einwandfrei überlegen«. Die Luftwaffe, so der Reichsmarschall resigniert, könne gegen die gegnerische Luftstreitmacht nichts ausrichten. Weit und breit sei nichts zu sehen, was aus der desolaten Situation heraushelfen könne. Gegen Ende der Besprechung ließ Göring durchblicken, wie sehr er sich von Hitler unter Druck gesetzt fühlte: »Die Herren müssen sich in meine Lage versetzen. Der Führer vernimmt dann am Morgen, schwerer Angriff auf deutsche Stadt gewesen, Wetter war sehr schlecht, wir konnten nichts machen. Und umgekehrt, wir machen einen Flug nach London, der vollkommen in den Eimer gegangen ist, wegen des schlechten Wetters wurde London nicht gefunden. Der Engländer schreibt, der deutsche Angriff wäre ein Kinderschreck gewesen, alles hätte im Felde draußen gelegen. Dass man da schließlich aus der Haut fährt, ist verständlich.« Göring war machtlos. Ändern konnte er die Lage nicht. Deprimiert fügte er hinzu: »Die können aus den Wolken ein Ei in einem Bahnhof treffen, und auf der anderen Seite können unsere Brüder nicht mal London treffen.«
Die Royal Air Force und die US-Luftwaffe führten 1943 drei große Luftoffensiven gegen das Reich: die »Battle of the Ruhr«, die »Operation Gomorrha« – eine Serie katastrophaler Großangriffe auf Hamburg – und die »Battle of Berlin«. Die Luftschlachten waren ein Wettstreit der Technik. Während Briten und Amerikaner mit neuen elektronischen Geräten auftrumpften, versuchte die
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