Göring: Eine Karriere (German Edition)
Sorglosigkeit. Der Einzige, der überhaupt etwas taugt, ist Jeschonnek, der sich aber gegen Göring nicht durchsetzen kann.
Hitler, 8. März 1943
Für Hamburg und insbesondere Peenemünde musste Hans Jeschonnek seinen Kopf hinhalten. Die jüngsten Angriffe trafen den vierundvierzigjährigen Generalstabschef tief. Er litt seit längerem unter der gefühllosen Art, mit der Göring und dessen »Hofkamarilla« ihn behandelten. Auch der »Führer« sah in dem Generalstabschef der Luftwaffe den Schuldigen für das Desaster bei der Heimatverteidigung. Hitler rief aus der »Wolfsschanze« bei Jeschonnek an: Er wisse wohl, was er nun zu tun habe. Jeschonnek wusste es und jagte sich am 18. August im Hauptquartier der Luftwaffe in Goldap eine Kugel in den Kopf. Wie Wolfgang Falck, Kommodore des Nachtjagdgeschwaders 1, in seinen Erinnerungen festhielt, sah Jeschonnek die heraufziehende Katastrophe klarer als die meisten anderen: »Er hatte den Überblick über die Gesamtlage wie kaum ein Zweiter, und sein scharfer, klarer Verstand erlaubte ihm keine Ausfluchten mehr: Wir waren auf dem sicheren Weg, den Luftkrieg zu verlieren. … All dies hatte Jeschonnek vor Augen gestanden. Bedingungslos loyal, hatte er die Fehlentscheidungen Hitlers auszuführen und dabei noch mit dem eifersüchtigen und intriganten Göring fertig zu werden, der von Hitler kaum noch zu Rate gezogen wurde. Göring schwebte noch immer auf rosaroten Wolken, benahm sich wie ein Sonnenkönig und kümmerte sich einen Dreck um die Tatsachen. Das ertrug Jeschonnek nicht mehr.«
»Er hatte den Überblick über die Gesamtlage wie kaum ein Zweiter«: Görings Generalstabschef Hans Jeschonnek wählte den Freitod
In der zweiten Jahreshälfte 1943 erlebte die deutsche Luftwaffe ein Wechselbad von dramatischen Erfolgen und Misserfolgen. Parallel zu den Ereignissen stieg oder fiel im »Führer«-Hauptquartier Görings Ansehen. Der Oberbefehlshaber der Luftwaffe war nun selbst der geeignete Sündenbock für jede Niederlage. Hitler hielt immer weniger mit seiner wachsenden Verachtung für Göring hinter dem Berg: »Ihr Saustall von Luftwaffe!«, warf er seinem Paladin bei einer persönlichen Begegnung an den Kopf. Ende August 1943 übernahm Günter Korten das Amt des Generalstabschefs der Luftwaffe. Energisch erklärte er die Heimatverteidigung zur Chefsache und ließ Jagdstaffeln ins Reich verlegen. Göring hatte in vielerlei Beziehung die Initiative verloren. Hitler konnte es kaum ertragen, dass es den Alliierten zwischen Mitte November und Mitte Dezember viermal gelang, Berlin zu bombardieren. In den Jagdpiloten fand Göring den geeigneten Blitzableiter für die heftigen Vorwürfe aus dem »Führer«-Hauptquartier. Sie seien zu feige, um sich dem alliierten Gegner zu stellen, warf der Reichsmarschall den Jägern vor. Schlechte Nachrichten wollte Göring zum Teil nicht wahrhaben. Vor allem Hitler durfte auf keinen Fall davon erfahren. Gerade bestieg der Reichsmarschall seinen Sonderzug nach Rominten, als der General der Jagdflieger, Adolf Galland, die Nachricht überbrachte, dass amerikanische Jäger bis Aachen vorgedrungen und dort abgeschossen worden seien. Albert Speer, Zeuge dieser Szene, schildert den Vorfall in seinen Erinnerungen: »›Also, Herr Galland,...ich befehle Ihnen dienstlich, dass die amerikanischen Jäger nicht bis nach Aachen kamen.‹ Der General versuchte einen letzten Einwand: ›Aber, Herr Reichsmarschall, sie waren doch da!‹ Nun geriet Göring aus der Fassung: ›Ich gebe Ihnen hiermit den dienstlichen Befehl, dass sie nicht da waren! Haben Sie verstanden? Die amerikanischen Jäger waren nicht da! Verstanden? Ich werde das dem Führer mitteilen.‹ Göring ließ General Galland einfach stehen. Schon im Weggehen wandte er sich noch einmal drohend um: ›Sie haben meinen dienstlichen Befehl.‹ Mit einem unvergesslichen Lächeln erwiderte der General: ›Zu Befehl, Herr Reichsmarschall.‹«
Bei den Lagebesprechungen in Görings Hauptquartier zogen sich die Berichte über Angriffe auf deutsche Städte immer mehr in die Länge. Göring wirkte jetzt häufig abwesend, desinteressiert, manchmal auch ungeduldig, wenn die unerfreulichen Details kein Ende nehmen wollten. Der Reichsmarschall hasste den Krieg, der ihm so viele Unannehmlichkeiten bescherte. Und er verlieh seinem diesbezüglichen Widerwillen ziemlich deutlichen Ausdruck. Geschwaderkommodore Wolfgang Falck nahm an einem Abendessen teil, zu dem Göring in Seidenbluse,
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