Göring: Eine Karriere (German Edition)
»friendly fire«. Der letzte Großeinsatz der Luftwaffe war ein Desaster. Wütend verbot Hitler jegliche Wiederholung. Der »Führer« musste sich nun endgültig mit dem Scheitern der Ardennenoffensive abfinden. Die kurze Phase erneuter Gunst, derer sich Göring während der Offensive erfreuen durfte, war zu Ende. Hitlers Haltung gegenüber seinem Paladin wurde wieder eisig. Wenn er es nicht mehr aushalten konnte, verschwand Göring in seinen Sonderzug und versuchte die düstere Realität zu verdrängen, indem er manisch Kriminalromane las.
»Der Kronprinz, von dem jedermann weiß, dass er nichts taugt, den man aber nicht absetzen kann«: Göring und Hitler am Neujahrstag 1945
Selbst aus den eigenen Reihen blies ihm nun ein scharfer Wind entgegen. Für die Jagdflieger war nach der missglückten »Operation Bodenplatte« das Maß voll. Mehrere Fliegerasse taten sich zusammen und schickten eine geharnischte Denkschrift über Führungsschwächen, organisatorische und technische Missstände in der Luftwaffe an den Reichsmarschall, verbunden mit der Bitte um eine Aussprache. Die Begegnung mit den Jagdfliegern fand am 19. Januar 1945 im »Haus der Flieger« in Berlin statt. Die Piloten mussten einige Zeit in nervöser Spannung warten, bis Göring endlich den kleinen, überheizten Besprechungsraum betrat. Johannes Steinhoff wurde in jenen Momenten klar, wie weit er sich innerlich bereits vom Reichsmarschall, seinem einstigen Vorbild, entfernt hatte: »Warum empfand ich einen so starken Widerwillen gegen diesen Mann? Ich hatte begonnen, eine Mauer des inneren Widerstandes gegen ihn aufzubauen, als ich nicht lange nach Beginn des Krieges bemerkte, dass dieses Idol Göring mit uns jungen Offizieren spielte wie eine Katze mit ihren Jungen, dass er uns wie Leibeigene, als seinen ganz persönlichen Besitz betrachtete – uns und seine ganze Luftwaffe. Um der Macht dieser Persönlichkeit nicht zu erliegen, hatte ich mich in eine zunehmend kritische Haltung hineingesteigert, die mich seine Schwächen überdeutlich erkennen ließ. Und ich empfand beinahe so etwas wie Scham darüber, dass ich mich seinerzeit von ihm hatte mitreißen, ›verführen‹ lassen.«
Als Göring schließlich erschien, blickte Steinhoff in »ein müdes Gesicht, aufgedunsen und mit Falten wie bei alten Frauen, die sich vom Mund herab zum Doppelkinn zogen«. Zunächst beherrschte sich der Reichsmarschall, sodass Jagdfliegeroberst Günther Lützow, der Sprecher der Gruppe, die Kritikargumente ungehindert vortragen konnte. Doch in Göring stieg bald Wut hoch, er begann zu dozieren, um den heißen Brei herumzureden und die Offiziere zu maßregeln – wie schon unzählige Male zuvor. Die Aussprache endete in einem Eklat. Göring loderte vor Zorn und schrie: »Jetzt rede ich! Lützow, jetzt rede ich! Jetzt will ich Ihnen einmal sagen, was ich von dieser Unternehmung halte! Was Sie mir hier bieten, meine Herren, ist Staatsverrat, ist Meuterei! Es ist geradezu ungeheuerlich, dass Sie in meinem Rücken konspirieren und seltsame Wege gehen, die einen schweren Verstoß gegen Ihre soldatischen Pflichten, gegen Ihre Treuepflicht mir gegenüber darstellen. Ich werde entsprechend reagieren!« Wie gelähmt warteten die Jagdflieger auf den Moment, da ein Wachkommando sie vor ein Standgericht führen würde. Doch nichts geschah. Wenig später allerdings verhängte Göring im Stil eines mittelalterlichen Potentaten eine »Reichsverbannung« über Lützow, der Deutschland in Richtung Italien verlassen musste.
Göring stand mit dem Rücken zur Wand: Weder bei Hitler noch bei seiner Truppe hatte er Rückhalt. »Mitte bis Ende Januar«, sagte er später in Nürnberg, »war keine Hoffnung mehr.« Im Januar 1945 drangen sowjetische Truppen bis zur idyllischen Schorfheide vor. Am 30. Januar ließ Göring Frau Emmy und Tochter Edda in sein Haus auf dem Obersalzberg bringen. Um Schadensbegrenzung bei seinem »Führer« bemüht, ließ sich Göring mehrere Male an der Front blicken, wurde aber dafür nur mit höhnischer Verachtung gestraft. Er solle doch bloß diese »lächerlichen Frontfahrten« lassen, spottete der Kriegsherr. In der Luftwaffe gab es nicht mehr viel zu tun. Wegen des Treibstoffmangels wurden kaum noch Einsätze geflogen. Im Vergleich zu Großadmiral Dönitz, dessen Kriegsmarine unter Aufbietung aller Kräfte Soldaten und Zivilisten aus den umkämpften Ostgebieten holte, hatte Göring nichts mehr zu bieten. Insgeheim rechnete er mit dem Ende und schrieb am 12.
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