Göring: Eine Karriere (German Edition)
Maschine, endlich löste sich das Kabinendach. Der Luftstrom riss Zell aus dem Cockpit heraus. Dabei kugelte er sich den Arm aus und brach sich einen Schlüsselbeinknochen. Trotz unerträglicher Schmerzen gelang es Werner Zell, seinen Fallschirm zu öffnen. Bewusstlos landete er auf einem Feld. Dort fand ihn ein Bauer, der sich um den verletzten »Rammjäger« kümmerte. Bei dem letzten verzweifelten »Sonderkommando« von Görings Luftwaffe fielen 77 Piloten. Nur 15 Jäger kehrten zurück. Die anderen hatten wie Werner Zell einen persönlichen Schutzengel und konnten sich mit dem Fallschirm retten. Die deutsche Luftwaffe hatte aufgehört zu existieren.
Der Untergang
Die Zeit des Abschieds war gekommen. Am 20. April verließ Göring seinen Waldhof Carinhall endgültig. Zurück blieb nur ein Sprengtrupp der Luftwaffe, der die Gebäude beim Näherrücken der Roten Armee mit über achtzig Fliegerbomben in die Luft jagen sollte. Noch einmal fuhr Göring nach Berlin, wo Hitler seinen sechsundfünfzigsten und letzten Geburtstag feierte. Durch die zerstörten Straßen der Hauptstadt führte ihn sein Weg in die Reichskanzlei, wo er zum letzten Mal dem Mann gegenüberstand, dem er in blinder Ergebenheit bei allen Verbrechen gefolgt war. Er werde Hitler bis in den Tod treu bleiben, hatte Göring mehr als zwanzig Jahre zuvor gelobt. Jetzt war er entschlossen, seinen »Führer« und die Reichshauptstadt vor der herannahenden Roten Armee so schnell wie möglich zu verlassen. Für alle überraschend hatte der Reichsmarschall seinen pompösen Kleidungsstil abgelegt. Statt in der taubenblauen Galauniform des Reichsmarschalls erschien er in schlichtem braungrauem Tuch; die sonst fünf Zentimeter breiten, goldgeflochtenen Achselstücke hatte er durch einfache Schulterklappen aus Stoff ersetzt, auf denen sein Rangabzeichen, der goldene Reichsmarschall-Adler, geheftet war. »Wie ein amerikanischer General«, flüsterte einer der Anwesenden.
Noch einmal, zum letzten Mal, versammelte sich die Führung des »Dritten Reichs« inmitten der zerstörten Reichshauptstadt, um ihrem »Führer« zum Geburtstag zu gratulieren. Noch einmal, zum letzten Mal, hatte sich Hitler hierfür aus dem Bunker unter der Reichskanzlei in die oberen, noch halbwegs präsentablen Räume begeben. Die Paladine des untergehenden »Tausendjährigen Reichs«, Hermann Göring, Joseph Goebbels, Heinrich Himmler und Martin Bormann, Albert Speer, Joachim von Ribbentrop, einige Gauleiter sowie die Spitzen der Wehrmacht waren gekommen, um ihre Glückwünsche zu überbringen. Nacheinander traten sie zu Hitler, »der ihre Glückwünsche den Umständen entsprechend kühl und fast abwehrend entgegennahm«, wie einer der Anwesenden bemerkte. Nach dem kurzen Empfang, bei dem eine festliche Stimmung nicht aufkommen wollte, folgten die Paladine Hitler zurück in den Bunker, wo sie an der anschließenden Lagebesprechung teilnahmen.
Die militärische Lage des Reichs und seiner Hauptstadt war verzweifelt, das war allen Anwesenden bewusst. Ende März war die Rheinfront, die letzte große Verteidigungslinie im Westen, zusammengebrochen. Aus ihren Brückenköpfen bei Remagen und Wesel waren britische und amerikanische Truppen im Eiltempo in das Innere des Reichs vorgedrungen und hatten im Ruhrgebiet die komplette Heeresgruppe B eingeschlossen, die am 16. April kapitulieren musste. 300 000 deutsche Soldaten gingen in Gefangenschaft, während ihr Oberbefehlshaber, Feldmarschall Walter Model, sich in einem Waldstück südlich von Duisburg erschoss. Schon am 12. April erreichten die Amerikaner südlich von Magdeburg und am 19. April die Briten bei Lauenburg die Elbe. Parallel dazu hatte die Rote Armee Mitte April ihre finale Offensive gegen die Reichshauptstadt begonnen. Am 20. April eroberten Stalins Armeen das nur gut 15 Kilometer nordöstlich von Berlin gelegene Städtchen Bernau. Der Endkampf um Berlin, die letzte Schlacht, hatte begonnen.
Die katastrophale Situation im Westen und Osten des Reichs, wo der Feind nun bereits wenige Kilometer vor Berlin stand, bot wenig Ermutigendes für die hochkarätige Gratulantenschar, die sich bei der Lagebesprechung im »Führer«-Bunker um Hitler drängte. Hauptthema war das schnelle Vordringen der Roten Armee in Richtung Elbe, das ihre baldige Vereinigung mit den dort schon stehenden Amerikanern und Briten und damit eine Trennung des Reiches immer wahrscheinlicher werden ließ. Hitler setzte daher eine bereits vorbereitete Weisung in Kraft,
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