Göring: Eine Karriere (German Edition)
Telegramm an Reichsaußenminister von Ribbentrop im »Führer«-Bunker eintraf. Begierig griff Bormann den zweiten Funkspruch auf: »Göring übt Verrat«, geiferte er, »er sendet bereits Telegramme an die Regierungsmitglieder und teilt ihnen mit, dass er aufgrund seiner Vollmachten Ihr Amt, mein Führer, heute Nacht um 24 Uhr antreten werde!« Jetzt erst erregte sich auch Hitler. »Ich weiß es schon lange!«, schrie er mit hochrotem Kopf. »Ich weiß, dass Göring faul ist. Er hat die Luftwaffe verludern lassen. Er war korrupt. Sein Beispiel hat die Korruption in unserem Staate möglich gemacht. Zu allem ist er seit Jahren Morphinist. Ich weiß es seit langem!«
In der dumpfen und hoffnungslosen Atmosphäre des Berliner Bunkers wurde der Abwesende zum willkommenen Sündenbock, dem die ganze Verantwortung für den Untergang des Reiches zugeschoben wurde. Auch Goebbels ließ an Göring kein gutes Haar mehr: »Dieser Mann war nie ein Nationalsozialist. … Er sonnte sich nur im Glanz des Führers, aber nie hat er nationalsozialistisch und idealistisch gelebt. Er ist schuld, dass die deutsche Luftwaffe versagt hat, ihm verdanken wir, dass wir jetzt hier sitzen und den Krieg verlieren müssen.« Während Hitler und Goebbels hysterisch vor sich hin gifteten, schritt Bormann zur Tat. Am Nachmittag des 23. April warf er im Namen des »Führers« eilig ein paar hasserfüllte Worte aufs Papier, die Görings Schicksal besiegeln sollten. Welche Genugtuung, wenn er nun, da die eigenen Tage gezählt waren, über den ewigen Rivalen triumphieren sollte! »Umstellt sofort Haus Göring und verhaftet sofort unter Brechung jeden Widerstands den bisherigen Reichsmarschall Hermann Göring. Gezeichnet Adolf Hitler«, lautete der »Führer«-Befehl aus Bormanns Feder, den Bernhard Frank, der Kommandeur der SS-Einheit auf dem Obersalzberg, am späten Nachmittag des 23. April 1945 in den Händen hielt. Görings Griff nach der Macht in letzter Stunde hatte sich als fatale Fehleinschätzung erwiesen.
Bei Einbruch der Dunkelheit erhielt Göring die mit Spannung erwartete Antwort Adolf Hitlers, die nichts Gutes ahnen ließ: »Der Erlass vom 29. 6. 1941 tritt erst nach meiner besonderen Genehmigung in Kraft. Von einer Handlungsfreiheit kann keine Rede sein. Ich verbiete daher jeden Schritt in der von Ihnen angedeuteten Richtung.« De facto hatte Hitler damit die Nachfolgeregelung außer Kraft gesetzt. Panisch ließ Göring Fernschreiben an Ribbentrop, Himmler und das OKW übermitteln, in denen er den Inhalt seiner Telegramme vom Nachmittag für nichtig erklärte. Doch es war zu spät, Göring, der über Jahre hinweg keinerlei Skrupel gegenüber seinen Gegnern gekannt hatte, saß in der Falle. Gegen 20 Uhr wurden die Telefonleitungen seines Landhauses gekappt, eine knappe Stunde später versperrte eine Postenkette der SS auf Befehl Franks den Zugang zum Haus. Wenig später machte sich Frank auf den Weg, Göring in seinem Domizil zu verhaften. Dort angekommen, sah er auf dem Weg ins obere Stockwerk die verstörte Emmy weinend hinter der nächsten Tür verschwinden. Göring selbst saß in schlichter Felduniform am Schreibtisch seines Arbeitszimmers, bei ihm waren SS-Obersturmführer Bredow und von Brauchitsch. Angesichts seines Auftrags, den nach Hitler einst mächtigsten Mann des Reiches festzunehmen, war Frank nicht wohl in seiner Haut. »Ich wusste ja nicht, was in Berlin los ist. Können die überhaupt noch?«, erinnert sich Frank heute an sein damaliges Dilemma: »Da habe ich überlegt, was ich machen soll, und habe gesagt: ›Herr Reichsmarschall, ich habe einen Funkspruch vom Führer bekommen.‹ Und dann kam eine lange Pause, in der er nachgedacht hat, was ich damit will. Denn normalerweise hätte ich ihn ja verhaften müssen. Und dann sagte er: ›Zeigen Sie mal her.‹ Dann habe ich ihm den Funkspruch gegeben, und dann gab es wieder eine lange Pause. Dann hat er gesagt: ›Dann müssen Sie mich wohl verhaften.‹ Also, ich habe ihn nicht verhaftet, er hat sich selbst verhaftet. So habe ich das gesehen.«
Noch in seinem Sturz behielt Göring Privilegien. Er wurde nicht in ein Gefängnis überführt, sondern durfte, bewacht durch ein SS-Kommando unter dem Befehl von Bredows, in einer Art Hausarrest in seinem Landsitz bleiben. Noch glaubte er fest daran, seine Verhaftung sei ein unglückliches Missverständnis, das sich bald klären werde. Einige Stunden später wurde er eines Schlechteren belehrt: In einem weiteren Telegramm ließ
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