Gößling, Andreas
aus dem Hexenholz hervorgestampft kämen – gleich sechs King Kongs auf einmal, die mit ihren Riesenfüßen alles pulverisieren würden, was ihnen zufällig in die Quere kam. Leute, Häuser, Autos, alles. Verzweifelte Polizisten würden auf sie schießen, von Hubschraubern aus würden Spezialeinheiten Stahlnetze über die Golems werfen. Aber es würde alles nichts helfen – die Monster würden einfach weiterstampfen, weiterwachsen. Die Kugeln würden durch sie hindurchjagen wie durch Schatten. Mit ihren Riesenpranken würden die Golems die Helikopter vom Himmel pflücken, sich die Stahl netze vom Leib fetzen wie Spinnweben. In Panik wür den die Leute vor ihnen die Flucht ergreifen. Aber die Golems würden so schnell weiterwachsen, dass sie bald schon ganze Städte unter ihren Füßen zermalmen könnten, wie Meister Justus das vorausgesagt hatte. Ein Schritt – und Hannover war Matsche. Nächster Schritt – Hamburg pulverisiert. Vor den Golems fliehen könnten die Leute so wenig wie ein Haufen Ameisen, den ein Traktor überrollte.
Na schön, dachte Marian, wegrennen bringt also gar nichts. Wie hatte Godobert geschrieben? »Die Not ist groß und größer noch der Lohn. «
Er trabte an der Apotheke »Am Bürgerspital« vorbei, ohne Lohenkamms Nachfolger einen Blick zu gönnen. Als Erstes würde er zum Logenhaus gehen und sich aus sicherer Entfernung zumindest mal anschauen, was da hinter dem Sphärenfenster passierte. Dann zu Julian – nur kurz nachsehen, was der Famulus so trieb. Und danach zu Klothas Hof.
Was würde ihn dort erwarten? Puh, lieber noch nicht dran denken. An das Zimmer der Alten. Oder gar an den Dachboden, den Billa in einem Ton erwähnt hatte, als ob da oben mindestens ein Dutzend Moorgeister rumspuken würden.
Ich tu’s für uns beide, Billa, dachte er. In seinem Bauch begann es zu flattern. Schmetterlinge? Oder eher Motten – graue Wolken flatternder Aasmotten wie in dem Horrorfilm, den er mal gesehen hatte. Aber warum musste ihm der gerade jetzt einfallen? Na, wegen dem Dachboden: In dem Film will sich irgendwer auf einem Speicher in so einer uralten Truhe verstecken, und als er das Ding aufklappt, grinst ihm eine halb vermoderte Lei che entgegen, und aus Mund und Augenhöhlen des Toten quellen und wirbeln und flattern Wolken staubgrauer Motten hervor.
Okay, Schluss jetzt mit solchem Zeug.
Sowieso bog er gerade eben in die Straße Am Bannwald ein. Die Bäume hinter dem ehemals Hegendahl’schen Gutshaus knarrten und ächzten, als ob ihnen selbst schon der Schrecken im Geäst säße. Das Logenhaus wirkte noch abweisender als sonst – alle Fensterläden verrammelt, weit und breit niemand zu hören oder zu sehen.
Aber bevor Marian den Klingelknopf auch nur berührt hatte, ging drinnen die Tür auf und Torgas stürzte regelrecht auf ihn zu. Riegelte und riss das Tor auf, winkte ihn rein, schloss mit fahrigen Fingern wieder ab. »Gehen wir gleich nach unten«, sagte er, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten. Er war so bleich, als ob er selbst bei den Geistern angeheuert hätte. »Wir halten dort abwechselnd Wache – immer sechs Brüder, Tag und Nacht.«
»Hat Godobert was rausgefunden?«, fragte Marian. »Ich meine – er wollte ja noch mal nachlesen, wie man die Pforte zukriegen kann.«
Der Bruder Türsteher drehte sich zu ihm um, ohne seine Schritte zu verlangsamen. »Man muss berufen sein«, sagte er und eilte weiter quer durch die Halle, auf die Kellertür unter der schwarzen Wendeltreppe zu.
Überall in den Sesseln und Sofas saßen Logenbrüder, die schwarzen Anzüge so knittrig wie ihre Gesichter. Alle schweigsam, übernächtigt, bleich. Marian spürte ihre Blicke noch auf seinem Rücken, als er schon auf der Treppe in den ersten Keller war.
»Wir sind dir dankbarer, als ich es ausdrücken kann«, sagte Torgas unten im Gang.
»Noch hab ich ja nichts gemacht. Und ehrlich gesagt, ich weiß auch nicht …«
Torgas blieb unvermittelt stehen. »Meine Güte, das hätte ich fast vergessen.« Seine Linke tauchte in seine Jackentasche und förderte eine massive Goldkette zutage. »Häng sie dir um.«
Zögernd nahm Marian die Kette in die Hand. Sie musste viele Hundert Jahre alt sein. Kettenglieder so dick wie Siegelringe, schartig und grob ineinandergefügt. Der faustgroße Anhänger bestand gleichfalls aus massivem Gold – ein Pentagramm mit alchimistischen und Freimaurer-Symbolen. In jeden Strahl des fünfzackigen Sterns war ein magisches Zeichen eingeritzt: das geöffnete
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