Gößling, Andreas
sich. »Der Meister hat neue Maßnahmen angeord net. Über die ich jetzt nicht sprechen kann«, fügte er gedämpft hinzu.
»Was für eine Pforte?«, fragte Billa.
Der alte Mann hatte sie bisher wie Luft behandelt. Jetzt machte er Marian ein warnendes Zeichen: Schweig. Und da erst wurde Marian bewusst, dass er Billa ja von dem verdammten Sphärenfenster noch gar nichts erzählt hatte. Und von der Geheimniskrämerei dieser Logenbrüder hatte er jetzt endgültig genug.
»Unter Marthelms Haus«, sagte er zu ihr, »gibt es so ein magisches Fenster in der Wand. Es funktioniert an scheinend sehr ähnlich wie das Auge unter dem Drachenmaul.« Torgas machte ihm zornige Zeichen, aber Marian tat einfach so, als ob er nichts davon mitbekäme. »Die Pforte wird von Dämonen regelrecht belagert«, fuhr er fort. »Es sieht wirklich ganz so aus, als ob sie zu uns rüberkommen wollten. Godobert und seine Logenbrüder versuchen verzweifelt, sie aufzuhalten. Aber sie glauben nicht, dass sie das noch lange schaffen werden.«
»Und was wollen sie von dir?« Bei jeder Bewegung klirrte Billa, als ob sie aus Glas bestünde oder zumindest mit tausend Kristallglöckchen behängt wäre. »Ich meine, sie haben das Ding ja wohl gebaut – und nicht du?«
Er zuckte mit den Schultern. »Anscheinend war das wohl Marthelm. Aber das ist jetzt auch schon egal. Je denfalls glauben sie – wenn irgendwer die Pforte zukriegen kann, dann höchstens ich.«
Torgas sah Marian eindringlich an. »Du und sonst kei ner, Marian Hegendahl.« Er nickte mehrfach. »Weil du die Macht in dir trägst, die auch dein Onkel Marthelm besessen hat.«
»Urgroßonkel«, sagte Billa. Doch Torgas nahm keinerlei Notiz von ihr.
»Du kannst es und du hast es geschworen«, fuhr er fort. »Und wir alle wissen, dass du deinen Schwur einlösen wirst.« Unter seinem Schutztuch zog er einen Lederriemen hervor, an dem ein langer, uralt aussehender Schlüssel hing. »Diesen Schlüssel sendet dir der Meister«, sagte er. »Pass gut auf ihn auf. Er öffnet alle Tore und Türen im Logenhaus.« Er hängte Marian das Band um den Hals und sah zu, wie er es unter seinem Schutz tuch verbarg. »Unsere Kräfte sind schwach«, sagte Tor gas. »Lange können wir die Pforte nicht mehr verteidigen.«
»Ich werde kommen«, versprach Marian.
Doch Torgas schien immer noch nicht beruhigt. »Sei auf der Hut, vor allem nachts«, sagte er. »Im Dunkeln verwandeln sie sich in Eulen und Fledermäuse.« Er sah Billa finster an – das erste Mal, dass er sie überhaupt ei nes Blicks gewürdigt hatte.
Schließlich verhüllte er sein Gesicht wieder mit dem Schutztuch. Dann verneigte er sich vor Marian in der gleichen Weise wie vorher die anderen Logenbrüder und gab ihnen den Weg frei.
69
In der Herrengasse stießen die Leute einander an und tuschelten hinter ihnen her. Dabei hatten Marian und Bil la ihre Köpfe und Gesichter gar nicht mehr verhüllt, seit sie in der Stadt waren. Um weniger aufzufallen, trugen sie die schwarzen Tücher um die Schultern wie kurze Umhänge, die ihnen bis zum Gürtel reichten. Aber die Leute glotzten ihnen trotzdem hinterher.
Marians Goldkette mit dem faustgroßen Pentagramm dran funkelte im Licht der Straßenlaternen. Billa hatte sich eine Silberkette mit eingeflochtenen Haarsträhnen um den Kopf geschlungen. Anstelle des protzigen Diamanten, der sonst bei Diademen vorn über der Stirn prangte, hatte Marian einen weiteren ihrer Weisheitszähne drangeknüpft – mit dem kunstvollsten Blutknoten, der ihm jemals gelungen war.
»Das sind Punks«, erklärte ein Rentner mit Survival-Weste den beiden rüstigen Damen an seiner Seite, als Marian und Billa an ihnen vorbeikamen. »Normalerweise haben die auch noch Ratten auf der Schulter. Und rostige Sicherheitsnadeln in der Nase und sonst wo.«
»Sonst wo?«, erkundigte sich eine seiner Begleiterinnen.
Die Antwort bekam Marian nicht mehr mit. Sie ließen die Herrengasse hinter sich und machten sich daran, den Kirchplatz zu überqueren. Auch hier waren noch jede Menge Leute unterwegs und sie alle schienen ihnen entgegen- oder hinterherzustarren.
»War vielleicht doch nicht so ’ ne gute Idee«, sagte Billa.
»Mann, Marian, guck dir doch diese Volksmassen an. Was machen die alle hier? Warum glotzen die so blöd?«
Linda hatte wohl nicht übertrieben. Sie beide schienen das Tratschthema Nummer eins in Croplin zu sein.
»Gothic«, sagte ein Anzugträger, Typus Bankangestellter, zu seiner Gefährtin. »Die würden sich alle
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