Gößling, Andreas
gesagt und meckernd gelacht.
Aber Godobert hatte ihn streng zurechtgewiesen. »Auch sie sind Geschöpfe des Großen Weltbaumeisters. Ihre sterblichen Überreste sollen in Frieden ruhen.«
Der Bannwald ächzte und knarrte hier draußen so laut, dass man sich nur mit erhobenen Stimmen verständigen konnte. Auf ein Zeichen von Godobert ging der Bruder Türsteher zum Tor in der Mauer, die das Anwesen vom Hexenholz trennte. Die Mauer war hier hinten bestimmt genauso hoch wie vor dem Haus. Aber neben den riesenhaften Bäumen, die ihre knorrigen Arme schwenkten, nahm sie sich mickrig und nutzlos aus. Torgas zückte seinen Schlüsselbund, machte sich leise fluchend am Schloss zu schaffen – dann endlich schwang das Tor mit einem rostigen Quietschen auf.
Offenbar war es seit langer Zeit nicht geöffnet worden. Und die beklommenen Gesichter der Logenbrüder ließen erahnen, dass sie etwas sehr Ähnliches wie Marian dachten: Vielleicht hätten sie dieses Tor besser zugelassen. Wie auch das Sphärenfenster tief unter dem Haus am besten nie geöffnet worden wäre.
Doch dafür war es jetzt zu spät – hier wie dort.
Zwei Logenbrüder traten durch das Tor in den Wald hinaus, Spaten und Schaufel geschultert. Erstaunt sah Mari an, dass sie schwarze Zylinder und golden gemusterte Schärpen trugen wie bei Marthelms Begräbnis. Auch die traditionellen Schurze, übersät mit Freimaurersymbolen, hatten sie wieder über ihren Anzughosen angelegt. Aber mehr noch als diese altertümliche Kostümierung verwunderten ihn die langen Seile, die die beiden alten Männer um ihre Mitte gebunden hatten. Es waren solide Taue, schwarzes Flechtwerk, durchzogen von goldfarbenen Schnüren.
Zwei weitere Logenbrüder schlangen sich die Enden um ihre Handgelenke. Langsam entrollten sich die Seile, während die beiden Totengräber in den Wald vordrangen. Schließlich rief Meister Godobert mit schallender Stimme: »Halt, Brüder! Nicht weiter. Dort grabt.«
Die Seile waren nun so weit gestrafft, dass sie den Bo den nicht mehr berührten. Die Totengräber mussten ungefähr 30 Meter tief im Hexenholz sein. Zu hören war nichts von ihnen, dafür schien das Brausen und Knarren des Waldes immer lauter anzuschwellen. Doch es war klar, dass die beiden dort draußen emsig arbeiteten: Wenn der eine Bruder den Spaten in die Erde stieß oder der andere mit der Schaufel nachsetzte, schwangen die schwarz-goldenen Taue im Hinterhof des Logenhauses heftig hin und her.
Während das Dämonengrab ausgehoben wurde, ging Meister Godobert durch die Reihen der Brüder und legte fest, welche von ihnen die sterblichen Überreste in den Wald hinaustragen sollten. Zwei meldeten sich freiwillig, aber Godobert erklärte, dass sie viel mehr Träger brauchten. »Wir müssen vor Einbruch der Dunkelheit mit allem fertig sein, Brüder – ihr wisst, aus welchem Grund.«
Die alten Männer nickten mit bedrückten Gesichtern. Nochmals drei erklärten sich bereit, mitzuhelfen. Godo bert wartete noch einen Augenblick, dann deutete er nacheinander auf vier weitere Brüder. Sie schüttelten bestürzt die Köpfe oder vergruben ihre Gesichter in den Händen.
Aber Godobert schien immer noch nicht zufrieden. Suchend schaute er sich um. Da gab sich Marian einen Ruck und trat vor. »Lassen Sie mich mithelfen«, sagte er. »Mir macht es nichts aus.«
Der Meister zögerte kurz, dann stimmte er mit einem Lächeln zu. »Die zehn Träger gehen jetzt alle zu den Kästen«, befahl er. »Auf mein Zeichen nimmt jeder einen Kasten und bringt ihn hinaus. Aber Vorsicht: Ihr wisst, dass wir nicht genügend Schutzseile zur Verfügung ha ben, um jeden von euch wie die Brüder Totengräber ab zusichern. Bleibt dicht bei den Tauen, dann wird euch nichts geschehen.«
Marian musste schlucken. Warum hatte er sich freiwillig gemeldet? Und sogar noch behauptet, dass es ihm nichts ausmachte, in den Hexenwald zu gehen? Das Herz schlug ihm bis hinauf in die Kehle. Er nahm einen schwarzen Kasten auf und beschwor sich, nicht daran zu denken, was er enthielt. Genauso wenig wie an die Schauergeschichten von all den Leuten, die sich im Cropliner Bannwald auf Nimmerwiedersehen verirrt hatten. Zum Beispiel Jakob, Billas Zwillingsbruder, dem er, Marian, angeblich so wahnsinnig ähnlich war.
In stummer Kolonne marschierten sie hinaus in den Wald. Marian passte haarscharf auf, dass er dicht hinter seinem Vordermann und genauso nah bei dem Seil zu ihrer Linken blieb. Konnte es sein, dass das Waldgeheul mit jedem Schritt noch
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