Gößling, Andreas
blutroter Beeren – noch in der Erinnerung kam ihm das alles wieder täuschend echt vor.
Ich muss sie fragen, heute noch, dachte er – vielleicht war sie ja vorhin wirklich da draußen im Hexenholz?
30
muss heute noch bei dir vorbeikommen. total wichtig. lg marian
Während er die SMS an Billa abschickte, redete Linda ohne Punkt und Komma auf ihn ein. »Ich hab da so eine nette Frau am Badesee kennengelernt, in meinem Alter, Babsi heißt sie, und stell dir vor, Marian, Babsi wird sogar hier bei uns im Hotel wohnen, sie holt nur noch ihre Sachen aus der Pension, wo sie bisher übernachtet hat, und gleich isst sie mit uns zu Abend, und morgen machen wir zusammen eine Moorwanderung, Babsi ist nämlich ein Naturfreak, sie kennt jede Pflanze, jeden Vogel beim Namen, und freust du dich denn gar nicht, dass dei ne arme alte Mutter in den Ferien ein bisschen Spaß hat, wenn ihr eigener Sohn sie schon hängenlässt wegen die ser – wie heißt sie überhaupt?«
»Billa«, murmelte er. Eben summte sein Handy, das er gar nicht erst wieder weggesteckt hatte. Er konnte es kaum erwarten, Billa zu sehen, mit ihr zu reden – jetzt erst recht, da die Natur- und Urlaubsfreundin ins Haus stand.
»Billa?«, wiederholte seine Mutter. »Seltsamer Name. Also eigentlich Sybille? Aber wer nennt denn seine Tochter heute noch so?«
hi marian, klar will ich dich sehen u nicht nur sehen! :-) aber hier auf dem hexengehöft geht das schlecht. bei dir im hotel? ich könnte in ½ std. da sein. loving you, billa
»Ach, schau her, da ist die Babsi ja.« Linda sprang von ihrem Stuhl in der »Moorgrafen«-Gaststube auf und eilte einer dürren Frau mit Kurzhaarschnitt entgegen. Marian schaute nur kurz auf und ging hinter seinen Haaren in Deckung. Die Naturfreundin trug eine Art Tropenanzug mit Trinkflasche am Gürtel. Fehlten nur noch Helm und Gummistiefel.
hotel impossible, wie komm ich zu dir? gehe jetzt los, marian
Linda und die Tropenfreundin ließen sich geräuschvoll an ihrem Tisch nieder. »Und das ist also dein süßer Sohnemann?«, rief Babsi und machte eine Kitschgrimasse. »Huhu, Marian, sagst du mir nicht Guten Tag?«
Er schob sein Handy in die Gürteltasche und stand auf. »Guten Abend«, sagte er zur Tropenfrau und sprintete schon in Richtung Ausgang.
»Wohin gehst du denn, Marian?«, rief Linda hinter ihm her. »Du hast doch noch gar nichts gegessen, Junge!«
An der Tür bremste er noch mal ab und drehte sich um. »Ich verhungere schon nicht. Wir sehen uns beim Frühstück!«
Dann war er draußen auf dem Kirchplatz und hatte keine Ahnung, wohin er jetzt gehen sollte. Von Billa noch keine Antwort, und wo ihr Hexengehöft lag, konnte er sich höchstens ganz ungefähr zusammenreimen. Hinter dem Bannwald. Ganz bestimmt würde er dieses verdammte Dickicht nicht durchqueren, schon gar nicht in der Nacht. Was er da vorhin mitgemacht hatte, reichte ihm für alle Zeiten. Und wenn er bloß dran dachte, wie Godobert seine Brüder beschworen hatte, nur ja vor Einbruch der Dunkelheit aus dem Hexenholz zurückzukehren – puh, dachte Marian, so was hab ich wirklich noch nie erlebt. Und muss auch nicht unbedingt noch mal sein.
Ohne es richtig mitzubekommen, hatte er wieder die Richtung zum Logenhaus eingeschlagen. Undeutlich sah er vor seinem inneren Auge einen unbefestigten Weg auftauchen, der am Wald entlangführte. Man musste am ehemals Hegendahl’schen Gutshaus vorbei und ein ganzes Stück noch der Straße Am Bannwald folgen. Dann ir gendwann hörte das Hexenholz auf und der Weg zweig te nach rechts ab. Marian war nur einmal dort vorbeigekommen, aber wenn seine Erinnerung ihn nicht täuschte, lief dieser Weg schnurstracks am Waldrand entlang. Genauer gesagt, zwischen dem Hexenholz zur Rechten und dem Moor zur Linken hindurch. Irgendwann musste dieser Pfad ja zwangsläufig zu Billas Hof führen, oder?
So weit der Plan, dachte Marian. Dumm nur, dass es ausgerechnet heute schon so früh am Abend total dunkel war. Der Himmel fettgelb bewölkt. Kein Mond, keine Sterne weit und breit.
Aber was soll’s? Dann mussten ihm halt die Glühwürmchen leuchten. Und auch die phosphoreszierenden Gase auf der Moorseite würden ihn bestimmt nicht im Stich lassen.
Als er am Logenhaus vorbeikam, waren dort alle Fenster zur Straße hin geisterhaft erhellt. Hinter Scheiben und Gardinen die Silhouetten der Brüder, die mit ihren hohen Hüten feierlich auf und ab schritten. Sich voreinander verneigten, die Zylinder zogen und wieder aufsetzten. Dazu
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