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Gößling, Andreas

Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tzapalil - Im Bann des Jaguars
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alles halb so wild, dachte sie jetzt – Maria war nicht verrückt, natürlich nicht, sie war ganz einfach eine Wissenschaftlerin. Eine Archäologin, und die machten eben solche Sachen. Sammelten und ordneten Scherben, Knochen, Stoffreste. Bauten Gräber, Schatzkammern – oder was immer das hier sein sollte – im maßstabgetreuen Modell nach. Verbrachten ihr halbes Leben mit Skeletten und toten Trümmern und merkten überhaupt nicht, wie sonderbar das war. Abartig und krank, auch wenn keiner es so zu nennen wagte.
    »Tausendmal hab ich meinen Vater gefragt«, hörte sie Pedro sagen, »was er deiner Mutter da überhaupt verscherbelt. Aber er hat immer nur so rumgedruckst. Und jetzt versteh ich auch, warum er nicht drüber reden wollte. Mein lieber Mann!« Er verschränkte die Arme vor der Brust und ging vorsichtig um das Skelett herum. »Frag mich nicht, wer das hier ist und wann er auf welchem Thron gesessen hat. Aber er muss ein mächtiger König gewesen sein – damals, bevor wir ausgestorben sind.« Wieder schoss er einen Blick auf sie ab.
    »Bitte lass – «, sagte Carmen und musste sich erst die Kehle frei-räuspern. »Lass das doch – ich hab ja kapiert, dass ich da falsch gelegen hab. Sag mir lieber, warum sie diesen riesigen Aufwand getrieben haben – mit der nachgebauten Gruft und alledem. Und warum in diesem Versteck – weshalb nicht oben an der Plaza, im archäologischen Institut? He, Pedro, was machst du denn da?«
    Pedro hatte sich einer kniehohen Holzkiste zugewandt, die in einer Ecke des fensterlosen Raums stand. Vorsichtig ging Carmen um das Skelett herum. Sie stieg über eine Ansammlung silberner Becher hinweg und wich einer enormen Vase aus, die mit grimmig drein-schauenden Sonnengesichtern bemalt war. Außer diesen Sachen am Boden und der Kiste in der Ecke schien der Raum leer zu sein.
    Als sie neben Pedro trat, rüttelte er gerade am Vorhängeschloss, mit dem die Kiste gesichert war. Dann zog er wieder sein Messer hervor. Ehe Carmen auch nur Luft geholt hatte, war das Schloss schon aufgesprungen und mit einem Scheppern auf den Boden gefallen.
    Pedro klappte den Deckel auf und beugte sich über die Kiste.
    »Bücher, Kataloge, noch mehr Bücher. Und hier – ein Notizheft.«
    »Gib her. Das gehört meiner Mutter.« Carmen riss es ihm aus der Hand. Sie kannte diese Hefte seit vielen Jahren. Maria verwendete immer nur solche Kladden – karierte Schulhefte mit festem Pappeinband, deren Seiten sich verblüffend schnell füllten. Dabei hatte Maria eine winzige Schrift, die allerdings mühelos zu lesen war. Früher hatte Carmen gern in diesen Kladden geblättert, die vor wissenschaftlichen Notizen, Gesprächsprotokollen, Flugterminen, archäologischen Geistesblitzen überquollen. Aber irgendwann hatte sie das Interesse an den Heften verloren, denen Maria viel mehr Zeit und Aufmerksamkeit widmete als ihr selbst.
    »Was steht drin? Jetzt sieh schon nach!«, feuerte Pedro sie an.
    »Vielleicht finden wir ja einen Hinweis, wo die heiligen Sachen jetzt sind.«
    Carmen warf ihm von der Seite einen Blick zu. Wie nett Pedro aussehen konnte, wenn er nicht gerade ein finsteres Gesicht zog oder sie zornig schüttelte. Und wie seltsam er sich manchmal benahm – weshalb um Himmels willen hatte er sich vorhin vor dem Skelett verbeugt? Und dann auf so sonderbare Weise, die Hände vor der Stirn zusammengelegt. Ob er selbst noch an die alten Götter glaubte – wenigstens ein kleines bisschen? »Für alle Fälle«, hatte er vorhin gesagt, nach seiner komischen Verbeugung, und es hatte überhaupt nicht wie ein Scherz geklungen.
    Fahrig blätterte Carmen das Heft durch. Sie fand eine ganze Reihe von Einträgen, die offensichtlich auf Treffen mit Xavier Gómez hinwiesen. »3. Februar, 14:30, Guatemala City – X. G.«, hieß es gleich auf der ersten Seite. Und kurz darauf: »7. März, 15:00, Mexico City – X. G.« So ging es das ganze Frühjahr und den halben Sommer hindurch. Auch das Treffen am 3. Juli in Guatemala City, bei dem laut Pedro der entscheidende Deal stattgefunden hatte, war in Marias säuberlicher Schrift festgehalten. Aber wie angestrengt Carmen auch suchte, sie fand nicht den kleinsten Hinweis auf die drei heiligen Sachen, die Marias und Gomez’ Entführer – neben der Maske – zurückhaben wollten: die Sonnenscheibe von Sonnengott Ahau Kin, die Silbersichel von Mondgöttin Ixchel oder die Jadefigur von Regengott Cha’ac.
     
    »Nichts haben wir, nicht den kleinsten Anhaltspunkt!« Die Fäuste

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