Gößling, Andreas
Arme verschränkt, und fühlte sich so durcheinander wie niemals vorher in ihrem Leben. »Wir müssen ja zusammenhalten«, sagte Pedro, »sonst haben wir sowieso keine Chance. Nimmst du meine Entschuldigung an?«
Sie nickte und zwang sich ihn anzusehen. »Schon okay«, sagte sie gepresst. »Aber was ich nicht verstehe…« Beinahe wäre sie von neuem in Tränen ausgebrochen. »Warum soll Maria das gemacht haben – diese Figuren gekauft und all das? Sie interessiert sich doch nur für ihre Arbeit – dachte ich jedenfalls bisher.« Carmen strich sich die Haare aus dem Gesicht und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. »Und dass sie Anfang Juli schon mal hier in Guatemala war, wusste ich auch nicht.«
Diesmal war es an Pedro, mit den Schultern zu zucken. »Als ich erfahren hab, dass mein Vater mit geklauten Maya-Schätzen aus dem Urwald dealt, war es für mich auch zuerst ein Schock.« Er setzte ein schiefes Grinsen auf. »Aber mich haben wenigstens seine Motive überzeugt: Er will unbedingt, dass ich die Schule hier in Flores ab-schließe und danach auf die Uni gehen kann – am besten in Madrid.
Oder wenigstens in Mexico City. Mit den paar Quetzales, die er als Taxifahrer verdient, könnte er das alles unmöglich bezahlen. Das reicht schon kaum für unsere Schrotthütte drüben in Santa Elena – ganz zu schweigen von meinen vier kleinen Schwestern.« Ein Lächeln flog über sein Gesicht. »Also hat sich mein Vater mit den Schatzräubern eingelassen, die draußen im Wald ständig nach alten Tempeln und Königsgräbern suchen.«
Sie dachte einen Moment lang über seine Worte nach. »Aber wer ist denn dieser Canek?« Die Frage spukte ihr die ganze Zeit schon durch den Kopf. »Du hast vorhin gesagt, er hätte befohlen, was mit deinem Vater und Maria passieren soll.«
»Der Canek ist ihr Gottkönig«, sagte Pedro. »Bis vor dreihundert Jahren war hier, auf dieser Insel, seine Hauptstadt. Tayasal hieß sie – die Palast-und Tempelstadt seines Königreichs. Unsere Leute draußen im Wald erzählen heute noch, dass es die reichste und mächtigste Stadt auf der ganzen Welt gewesen sei. Tayasal.« Wieder zeigte er dieses schiefe Lächeln, als ob in ihm Stolz und Beschämung miteinander kämpften.
»Eure Leute draußen im Wald?«, wiederholte Carmen. »Wer soll das denn nun wieder sein?« Ihr schwirrte der Kopf von all den seltsamen Dingen, die Pedro ihr im Ton größter Selbstverständlichkeit erzählte. Immer wieder fragte sie sich, ob er sie nicht vielleicht doch zum Narren hielt. Aber nichts in seinem Gesicht ließ auf eine solche Möglichkeit schließen.
»Na, meine Familie eben«, sagte er und breitete kurz die Arme aus. »Großeltern, Onkels, Tanten. Fünfunddreißig Cousins und Cousinen. Die meisten von ihnen sind auch schon verheiratet und haben einen Stall voller Kinder.« Grimmig sah er Carmen an. »Wir sind ein zähes, fruchtbares Volk, weißt du? Wir sterben nicht so einfach aus.«
Also waren Pedro und seine Leute ganz einfach Maya? Oder wie nannte man die überhaupt: Mayas, Maya, Maya-Menschen? Carmen getraute sich nicht ihn noch mal nach diesem Punkt zu fragen. Bei Maria hatte es immer so geklungen, als ob dieses Volk, das vor tausend und zweitausend Jahren gigantische Pyramiden und Tempel gebaut hatte, längst wieder von der Erde verschwunden sei. Wohin auch immer – in Kriegen besiegt, bei Aufständen massakriert, durch Katastrophen ausgelöscht. Waren ihre riesigen Tempelstädte denn nicht damals schon verlassen und verfallen gewesen, als die ersten Spanier nach Mittelamerika gekommen waren? Jedenfalls hießen all diese kleinen Leute, die heutzutage hier in Walddörfern und Elends-siedlungen lebten, die wuselige Bauernmärkte veranstalteten und an den Straßenecken traditionelle Kleider und Decken anboten, bei Maria einfach »Indios«.
Als sie aufsah, stand Pedro ganz nah vor ihr. Einen Moment lang fürchtete Carmen, dass er sie wieder bei den Schultern packen und schütteln würde, aber er schaute sie nur erwartungsvoll an. Was um Himmels willen erhoffte er sich denn von ihr?
»Vor dreihundert Jahren?«, fragte sie. »Du hast gesagt, dass dieser Canek bis vor dreihundert Jahren hier auf der Insel wohnte – in seiner Hauptstadt Tayasal? Aber das kann ja nicht stimmen – um diese Zeit gab es doch längst keine Maya-Könige mehr.« Pedro machte schon den Mund auf, um ihr zu antworten, da fiel Carmen noch etwas Seltsames auf. »Und außerdem«, fügte sie hinzu, »wenn er damals auf
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