Gößling, Andreas
»Komisch«, sagte sie. »Vielleicht klemmt die ja?«
Im gelben Licht der Flurlampe sah Pedros Gesicht auf einmal ganz krank aus. Er schaute sie von der Seite an und schüttelte den Kopf. »Bestimmt abgeschlossen. Lass mich mal. Was soll denn überhaupt dahinter sein?«
Zögernd trat Carmen zur Seite. »Na ja, noch gar nichts, nehm ich an. Unsere Sachen sollen ja erst in ein paar Tagen gebracht werden«, erklärte sie. »Dann wollen meine Eltern da drinnen ein Arbeitszimmer einrichten – Schreibtische, Bücherregale, Aktenschränke…«
»Aber wenn das Zimmer leer ist«, unterbrach Pedro sie, »warum ist die Tür verriegelt?«
Carmen zuckte mit den Schultern und kam sich wieder mal ziemlich blöd vor. Maria war schon Anfang Juli hier in Guatemala gewesen und hatte sich mit Pedros Vater getroffen, dachte sie. Ob Georg überhaupt wusste, in was für eine seltsame Geschichte seine Frau verwickelt war? Auf einmal zog sich ihr der Magen zusammen.
Warum hatte Maria sich auf solche dunklen Geschäfte eingelassen?
Was hatte das alles nur zu bedeuten?
Pedro griff erneut in seine Hosentasche und zog das knochenbleiche Rohr heraus. Mit einer jähen Handbewegung ließ er die Klinge hervorschnellen. Einige Augenblicke lang fummelte er damit im Schlüsselloch herum, dann schnappte mit heiserem Schnarren das Schloss auf.
»Ich zuerst.« Diesmal war Carmen schneller. Ihre Hand lag schon auf der Klinke, als Pedro danach griff. Für einen kurzen Moment spürte sie seine Finger auf ihrem Handrücken. Dann ließ er seinen Arm sinken und machte ihr Platz, so gut es in dem engen Flur ging.
Sie holte tief Luft und öffnete die Tür.
Dunkelheit waberte ihnen entgegen. Carmen blieb auf der Schwelle stehen und tastete nach dem Lichtschalter. Durfte sie das denn so einfach machen – in diesem Zimmer herumschnüffeln, das sie doch gar nichts anging? Was würde sie denn sagen, wenn ihre Eltern in ihren Sachen herumwühlten? Aber es geht um Marias Leben, dachte sie dann wieder. Dicht hinter sich spürte sie Pedro, der vor Ungeduld schnaufte. Sie drehte den altmodischen Schalter und an der Decke ging ein trübes Licht an.
Zuerst konnte sie nur ein paar verschwommene Umrisse erkennen. Dann stellten ihre Augen sich auf das Dämmerlicht ein, aber Carmen blieb wie erstarrt auf der Türschwelle stehen. Etwas Eiskaltes rieselte ihren Rücken hinunter. Es war wie in einem ganz und gar unheimlichen Traum. Das Zimmer sah aus wie eine Höhle oder vielleicht wie ein uraltes Kellerloch. Die Wände und die Decke waren aus groben Steinen gemauert und mit einem grauen, löchrigen Überzug bedeckt. Auf dem Boden, der scheinbar aus gestampftem Lehm bestand, lag ein glotzender Totenschädel, umgeben von allerlei buntem Zeug, das im Licht der Deckenfunzel nicht genau zu erkennen war.
Carmen bemerkte kaum, dass Pedro die Tür zum Schlafzimmer ihrer Eltern aufstieß und drüben die Fensterläden öffnete. Plötzlich schwappte ein Schwall Sonnenlicht in das Verlies. Jetzt konnte sie sehen, dass vor ihr ein vollständiges Skelett am Boden lag. Arme und Beine, der auf dem Rücken liegende Rumpf teilweise bedeckt mit Stofffetzen, die wie von Gold und Silber glitzerten. Darüber der Totenkopf, der mit leerem Grinsen zur Decke emporstarrte, von bunten Stäben wie von einem Strahlenkranz umgeben. Schalen, Teller, Vasen lagen und standen in Mengen herum, alle in kräftigen Farben bemalt.
»Verdammt – das Zeug, das wir brauchen, scheint nicht dabei zu sein.« Pedro legte seine Hände auf ihre Schultern und schob sie zur Seite. »Wäre ja auch zu leicht gewesen.«
Apathisch sah Carmen zu, wie er an ihr vorbei in die seltsame Gruft trat. Pedro schien überhaupt nicht erstaunt zu sein. Und was um Himmels willen machte er denn jetzt? Plötzlich legte er seine Hände vor der Stirn flach zusammen und verbeugte sich vor dem Skelett, so tief, dass seine Fingerspitzen fast den Boden berührten.
»Nur für alle Fälle«, hörte sie ihn murmeln. »So haben sich unsere Leute schon vor zweitausend Jahren vor unseren Gottkönigen verneigt«, erklärte er. »Ich meine natürlich – bevor wir ausgestorben sind.« Über die Schulter warf er ihr einen raschen Blick zu.
Carmen sah an ihm vorbei und machte einen zögernden Schritt in den Raum hinein. Eben auf der Türschwelle hatte sie für einen ganz kurzen Moment geglaubt, dass ihre Mutter vielleicht wahnsinnig war. Wer sonst richtete sich eine solche Höhle ein, mit einem Skelett und all dem modrigen Plunder? Aber es war
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