Gößling, Andreas
Augen, deren winziges Schielen sich so überraschend verstärken konnte. So als ob er tatsächlich in eine andere Zeit oder eine andere Dimension schauen könnte. Oder geradewegs in ihr Inneres hinein! Hey, das fehlte noch, dachte Carmen und machte rasch die Augen wieder auf.
»Die Maske«, sagte Pedro schon wieder und saß tatsächlich vor ihr. »Ich will gar nicht wissen, wo du sie versteckt hast.« Er hockte ihr gegenüber in der Hängematte und ließ die Beine baumeln. Über ihm in der Palmkrone saß ein dicker roter Papagei, der zu jedem seiner Worte mit dem Kopf zu rucken schien. »Machen wir’s einfach so«, fuhr Pedro fort. »Pack die Maske ein und nimm auch ein paar Sachen für unterwegs mit – und dann lass uns losgehen.«
Sie sah ihn an und brachte kein Wort heraus. Aber ich geh nicht mit, wollte sie sagen und wusste zur gleichen Zeit, dass sie gar keine Wahl hatte. Vorhin hatte sie Pedro erzählt, wie sie diesen Señor Cingalez heute Mittag beobachtet hatte, als er mit dem Polizeioffizier über die Plaza Central marschiert war. Sie hätte gar nicht mal sagen können, warum, aber bei Cingalez hatte sie immer ein ganz blödes Gefühl. Er war bestimmt irgendwie in diese Geschichte verwickelt. Aber er würde ihnen nicht helfen, niemals, das spürte sie ganz genau. Vielleicht wusste er sogar, wo die drei heiligen Sachen versteckt waren, aber er würde sie nicht herausgeben, nur um das Leben von Maria und von Xavier Gómez zu retten. Im Gegenteil – er würde sich beeilen alles so zu drehen, dass auf ihn selbst kein Schatten fiele. Da musste es ihm doch geradezu gelegen kommen, wenn Maria und Gomez umgebracht wurden! Von toten Mitwissern hatte er jedenfalls nichts zu befürchten. Und wie zur Bestätigung fiel Carmen jetzt auch wieder ihr Traum ein, in dem Cingalez Maria durch den Dschungel gejagt hatte.
»Nun mach schon«, drängte Pedro. »Wenn wir uns beeilen, kommen wir heute vor der Dunkelheit noch bis Yax-kech – Grünes Auge –, das Dorf im Wald, wo meine Verwandten wohnen. Von da sind es zwei Tagesmärsche bis nach Tzapalil, das heißt Versunkener Ort – dem geheimen Maya-Reich tief im Wald.« Er hob eine Hand, wie um einem Einwand von ihr zuvorzukommen. »Keine Sorge, wir müssen uns nicht auf eigene Faust durch den Dschungel schlagen.
Zwei Verwandte von mir werden uns hinbringen. Ixom und Kanaas, Zwillinge, ungefähr so alt wie du.«
»Und woher kennen die den Weg?« Carmen war froh, zumindest ihre Stimme wieder gefunden zu haben. »Ich meine – wenn diese Maya-Stadt doch an einem versteckten Ort liegt?«
Urplötzlich wurde Pedros Gesicht wieder finster. »Sie waren schon mal dort.« Seine Augen rutschten ein wenig nach innen. Aufs Neue schien es Carmen, als schaute er durch sie hindurch. »Eine hässliche Geschichte – erzähl ich dir vielleicht unterwegs.« Er fuhr sich übers Gesicht. Als er die Hand wieder sinken ließ, sah er immer noch so düster und traurig aus wie zuvor. »Sind wir uns also einig, Carmen – du kommst mit?«
Sie schluckte und nickte. Bevor er wieder nach der Maske fragen konnte, sprang sie auf und lief zurück ins Haus. Im Schlafzimmer hatte sie vorhin Marias kleinen Rucksack gesehen. Sie holte ihn aus dem Kleiderschrank, eilte zurück in den schimmelgrünen Flur und vermied es, durch die offene Tür gegenüber zu sehen. Trotzdem verfolgte sie das totenäugige Grinsen des Königsskeletts bis in ihr Zimmer, wo sie mit fahrigen Fingern die nötigsten Sachen aus ihrem Koffer zog und in Marias Rucksack stopfte. T-Shirt, Wäsche, alles zerdrückt und zerknittert, aber darauf kam es im Dschungel ja wirklich nicht an. Sie zippte den Rucksack zu, warf ihn sich über die Schulter und trat auf die Veranda zurück, als Pedro eben den Sombrero vom Tisch nahm und auf seinen Kopf setzte.
»Damit siehst du ulkig aus«, sagte Carmen und musste trotz allem ein wenig grinsen. Sein Gesicht, die ganze Gestalt wirkte winzig unter dem riesigen Hut mit den knallbunten Verzierungen.
»Er gehört meinem Vater.« Pedro machte auf einmal ein Gesicht, als ob er gleich losheulen würde. »Ich nehm ihn mit, damit er ihn gleich wieder hat.« Seine Unterlippe zitterte. Mit einer jähen Bewegung zog er wieder das knochenbleiche Rohr aus der Hosentasche.
Beunruhigt fragte sich Carmen, wozu er denn jetzt schon wieder sein Messer brauchte. Aber anstatt die Klinge hervorschnellen zu lassen, setzte Pedro das Röhrchen an die Lippen und blies hinein.
Ein hoher Pfeifton erklang, so hell, dass er
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