Gößling, Andreas
auf die Hüften gestützt, stand Pedro vor ihr im schimmelgrünen Flur.
»Wo kann sie das Zeug denn sonst noch versteckt haben?« Carmen konnte wieder mal nur mit den Schultern zucken. Sie hatten auch das Schlafzimmer noch durchsucht, aber natürlich hatte Maria die geklauten Schätze nicht einfach unter ihrer Matratze versteckt. So wenig wie in dem wackligen Kleiderschrank oder unter dem zerschlissenen Ledersessel, der die Einrichtung vervollständigte.
Pedros Augen blitzten vor wildem Zorn. »Rück jetzt wenigstens die Maske raus! Dann sehen diese Leute, dass wir zumindest versuchen ihre Forderung zu erfüllen.« Er machte einen Schritt auf sie zu.
Carmen wich zur Küchentür hin zurück. Sie war zu erschöpft und viel zu durcheinander, um sich noch länger vor Pedros Wutausbrüchen zu fürchten. »Erst will ich mit meinem Vater reden«, sagte sie.
»Wenigstens seine Nummer hab ich ja jetzt.« Sie hielt das Blatt mit dem Briefkopf der Kraftwerkgesellschaft hoch, das sie auf dem Boden neben Georgs Bettseite gefunden hatte. »Ich geh schnell zum Telefonladen und ruf ihn an. Wenn du willst, komm mit, dann kannst du – «
Mit einer heftigen Handbewegung schnitt Pedro ihr das Wort ab.
»Zum Telefonladen? Du willst doch nicht abhauen, oder was? Hier, ruf ihn an.« Aus der Brusttasche seines schwarzen Hemdes holte er ein kleines, gleichfalls schwarzes Telefon hervor und warf es ihr zu.
Na klar, dachte Carmen, die ganze Welt hatte Handys, die im Urwald problemlos funktionierten, nur sie selbst hatte keins. Und offenbar hatten auch alle ihren Spaß dabei, ihr Sachen zuzuwerfen, die sie wie ein dressiertes Hündchen auffing. Erst warf Maria ihr die Maske im schlammfarbenen Tuch zu, jetzt machte es ihr Pedro mit seinem offenbar nagelneuen Handy nach.
Aufmerksam sah Pedro ihr zu, wie sie die Nummer von Georgs Briefbogen eintippte. Glaubte er wirklich, dass sie ihn übers Ohr hauen wollte? Das Telefon quittierte jeden Tastendruck mit einem hellen Signalton. Sie drückte auf die Bestätigungstaste und hielt sich das winzige Gerät ans Ohr. Wieso konnte sich Pedro eigentlich so ein teures Spielzeug leisten? Zu einem Slumhütten-Bewohner passte es überhaupt nicht, umso besser aber zu einem erfahrenen Einbrecher – und noch besser zum Sohn eines Hehlers, der mit geraubten Maya-Schätzen dealte. Und was bist du, Carmen Lambert, fragte sie sich gleich darauf, die Tochter einer durchgedrehten Archäologin, die diese geklauten Maya-Schätze in einem Privatversteck hortet? Wo-mit hatte Maria diesen ganzen Plunder überhaupt bezahlt? Da musste es doch irgendwelche reichen Hintermänner geben! Vor allem aber und immer wieder: Warum? Aus welchem Grund hatte sich Maria in solche Machenschaften verwickeln lassen?
Aus dem Telefon drang jetzt lautes Rauschen, in das sich ein dünner, scheinbar weit entfernter Pfeifton mischte. Carmen hob die Augenbrauen, um Pedro zu bedeuten, dass sein großartiges Telefon offenbar nicht funktionierte. Fast im gleichen Moment schrie eine Bassstimme in ihr Ohr: »Kraftwerksgesellschaft Flores – wer zum Teufel ruft hier am heiligen Sonntag an?«
Eingeschüchtert murmelte Carmen ihren Namen. »Mein Vater muss bei Ihnen auf der Baustelle sein – Ingenieur Georg Lambert«, fügte sie hinzu.
»Señor Jorge?«, dröhnte der Bass. »Ja, das weiß der liebe Gott, wann der Jefe wieder hier im Campo ist, Señorita - falls der sich hier draußen überhaupt zuständig fühlt. Der liebe Gott, meine ich natürlich, nicht Ihr Herr Vater. Kleiner Scherz, haha.«
»Aber wo ist er denn hingefahren?«, fragte Carmen. Das Rauschen und Pfeifen wurde immer lauter. Wenn dieser Dröhnbass noch länger herumschwadronierte, würde die Verbindung zusammenbrechen, bevor sie auch nur ein klares Wort zu hören bekommen hatte.
»Na, raus in den Wald natürlich, wohin denn sonst, werte Señorita. Señor Cingalez ist gerade mit dem Hubschrauber eingetroffen und er und Ihr Herr Vater gehen noch ein letztes Mal das ganze Gelände ab. Dann können wir nächste Woche hoffentlich das Staubecken fluten.«
»Señor Cingalez?«, wiederholte Carmen und musste sich am Türrahmen festhalten. »Was hat der denn damit zu tun?«
»Na, Sie machen mir Spaß, Schätzchen«, dröhnte der Bass. »Ohne diese Altertums-Heinis dürfen wir hier draußen noch nicht mal einen Baum fällen – geschweige denn dieses ganze Tal zu einem Staubecken umfunktionieren! Aber wie es aussieht, haben wir diesmal Glück. Nicht mal der übereifrige Señor
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