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Gößling, Andreas

Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tzapalil - Im Bann des Jaguars
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auf einmal in der Luft herum, setzten sich ihnen auf die Arme und ins Gesicht. »Und wie weit noch?« Er lachte sie von der Seite her an – oder vielleicht eher aus.
    »Wenn wir zwei Tage und Nächte in diesem Tempo weitergehen, können wir es vielleicht gerade noch schaffen.«
    Carmen blieb wieder stehen und ließ den Kopf hängen. Sie glühte vor Hitze und der Schweiß lief ihr aus allen Poren. Der Pferdeschwanz klebte ihr im Nacken. »Aber ich kann nicht mehr«, sagte sie und schlug mit beiden Händen um sich. Die widerlichen Fliegen blieben einfach sitzen, wo sie einmal gelandet waren. Zu pusten oder mit den Händen zu wedeln half überhaupt nichts. Man musste sie sich mit dem Finger regelrecht vom Arm oder von der Stirn schieben. Und im nächsten Moment waren sie in fünffacher Menge wieder da. »Du hast doch gesagt, dass wir heute hier übernachten würden?«
    »Hier?« Pedro schüttelte sich, dass sein Goldkettchen im Hemd-ausschnitt klirrte. »Das will ich dir lieber nicht zumuten. Mir übrigens auch nicht. Also komm schon weiter.«
    Besonders aufschlussreich waren seine Worte nicht gewesen.
    Trotzdem fühlte sich Carmen für den Moment etwas aufgemuntert.
    Bereitwillig ließ sie sich von Pedro weiterziehen, die endlose Steigung hinauf. Lieber noch eine ganze Stunde lang diesen Berg hoch-keuchen, dachte sie, als in der Kloake hier übernachten müssen.
    Aber was erwartete sie wohl hinter diesem Dorf mit seinem Dreck und Elend? Sollten sie etwa einfach im Wald schlafen? Eine grässliche Geschichte fiel ihr plötzlich ein, die Maria ihr einmal erzählt hatte: Ein Fahrer, der sie in Guatemala immer durch die Gegend chauffierte, hatte früher als Chiclero – Harzsammler – im Wald gearbeitet. Da hatten er und sein Kollege meistens in Hängematten übernachtet, die sie einfach zwischen den Bäumen aufhängten. Und eines Nachts war dieser Mann durch seltsame Laute geweckt worden. Ein Fauchen, ein dumpfer Aufprall, ein Wimmern und Schreien.
    Dann ein Knacken und Schmatzen, als ob Knochen zerbissen, starke Zähne in Fleisch geschlagen würden. Der Mann hatte wie erstarrt in seiner Hängematte gelegen, Stunde um Stunde, und kaum zu atmen gewagt. Als am Morgen endlich die Sonne aufgegangen war, hatte sie die Überreste seines Kameraden beschienen. Ein paar Knochen, ein paar blutige Kleidungs-und Fleischfetzen, einen angefressenen Schuh. Mehr hatte der Jaguar nicht übrig gelassen. Der Mann hatte diesen Schock niemals richtig überwunden. Glücklicherweise hatte er bald darauf die Stelle als Fahrer in Flores gefunden. Denn als Chiclero hatte er natürlich nie mehr gearbeitet. Nach seinem Erlebnis war er niemals mehr in den Urwald zurückgekehrt.
    Carmens Zuversicht war schon wieder verflogen. Als sie erneut den Kopf hob und sich umsah, ließen sie eben die letzten Blechhütten hinter sich. Der Weg lief nun fast ebenerdig weiter, von Abwasser und Unrat war nichts mehr zu sehen. Aber es war nur noch ein winzig schmaler Pfad, der nach wenigen Schritten vor ihnen im Dschungel verschwand.
    Plötzlich schlug Carmen das Herz bis in die Kehle hinauf. Wieder blieb sie stehen, und als Pedro sie weiterziehen wollte, schüttelte sie seine Hand mit einer wütenden Bewegung ab. Sie war doch schließlich keine Gefangene, die man einfach so hinter sich herzog!
    Aber was war sie sonst? Carmen drehte sich um und sah auf den See zurück, der sich tief unter ihnen bis zum Horizont dehnte. Die Sonne sank schon, die riesige Wasserfläche war dunkel, beinahe schwarz.
    »Eine Stunde noch, wenn wir uns ranhalten«, sagte Pedro. »Dann sind wir in Yax-kech, wo meine Leute wohnen.« Er lächelte sie an.
    »Da ist es besser, glaub mir. Ein kleines Dorf an einem kleinen See.
    Grünes Auge. Kein Schmutz, keine Säufer. Da leben sie noch wie vor tausend oder zweitausend Jahren.«
    Sie wandte sich wieder um und sah, dass der Großvater und Yeeb-ek vorn am Waldrand auf sie warteten. Also würden die beiden doch nicht hier zurückbleiben? Während der Bootsfahrt hatte der Alte nach ihrem Rucksack geschielt, so als ob er auf eine Gelegenheit lauerte, ihn nach der Maske zu durchwühlen. Oder hatte sie sich das nur eingebildet? Vielleicht hatte der Hund ja die Maske auch vorhin in ihrem Garten ausgebuddelt und der Alte trug sie längst in seinem Stoffbündel mit sich.
    Als Pedro wieder nach ihrer Hand griff, ließ Carmen es geschehen. Wie vor zweitausend Jahren, dachte sie, na vielen Dank. Aber wie Pedros Hand ihre Linke fest und doch sanft umfasste,

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