Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
in Goethe einen neuen Repräsentanten des Geistes, der sich zu einem guten Zwecke mit der Macht verbindet. Und nun mußte man von dieser tollen »Wirtschaft in Weimar« hören und davon, wie Johann Heinrich Voß vom Hörensagen schreibt, daß der Herzog mit Goethe wie ein »wilder Pursche« in den Dörfern herumzieht, »er besäuft sich und genießet brüderlich einerlei Mädchen mit ihm«. Auch Klopstock hatte solches vernommen, und da er sich als Oberhaupt der »Gelehrtenrepublik« fühlte, schrieb er Goethe, den er mit einem Gedicht für das Schlittschuhlaufen gewonnen hatte, einen tadelnden und ermahnenden Brief: »was wird denn der unfehlbare Erfolg sein, wenn er fortfährt? Der Herzog wird, wenn er sich ferner bis zum Krankwerden betrinkt, anstatt, wie er sagt, seinen Körper dadurch zu stärken, erliegen und nicht lange leben. 〈...〉 Die Teutschen haben sich bisher mit Recht über ihre Fürsten beschweret, daß diese mit ihren Gelehrten nichts zu schaffen haben wollen. Sie nehmen itzund den Herzog von Weimar mit Vergnügen aus. Aber was werden andre Fürsten, wenn sie in dem alten Tone fortfahren, nicht zu ihrer Rechtfertigung anzuführen haben, wenn es nun wird geschehen sein, wie ich fürchte, daß es geschehen werde?«
Goethe ließ den Brief zunächst zwei Wochen liegen, um seine Empörung abklingen zu lassen und widmete sich dem Spargel in seinem Garten. Dann schrieb er ihm:
Sie fühlen selbst daß ich nichts darauf zu antworten habe. Entweder müßte ich als Schul Knabe ein pater peccavi anstimmen, oder mich sophistisch entschuldigen, oder als ein ehrlicher Kerl verteidigen, und dann käm vielleicht in der Wahrheit ein Gemisch von allen Dreien heraus, und wozu? – Also kein Wort mehr zwischen uns über diese Sache! Glauben Sie, daß mir kein Augenblick meiner Existenz überbliebe, wenn ich auf all’ solche Briefe, auf all’ solche Anmahnungen antworten sollte.
Klopstock antwortet postwendend: »Sie haben den Beweis meiner Freundschaft so sehr verkannt, als er groß war; 〈...〉 so erklär’ ich Ihnen hierdurch, daß Sie nicht wert sind, daß ich ihn gegeben habe.« Damit ist die freundschaftliche Verbindung zerrissen.
Der Herzog war achtzehn, als er sich Goethe zum Freunde erwählte und alles tat, um ihn nach Weimar zu holen. Er wollte ihn in seiner Nähe haben, noch ohne weitergehende Pläne. Doch um ihn in der Nähe behalten zu können, stellte er ihm nach einem Vierteljahr, gegen den Widerstand mancher Hofleute und Beamten, ein Amt in Aussicht, außerdem machte er ihm großzügige Geschenke, wie etwa im Frühsommer 1776 das Gartenhaus. Am 16. März 1776 setzte er ein Testament auf, das eine lebenslängliche Pension für Goethe bestimmte, einstweilen noch ohne Amt. Goethe hatte in den ersten Monaten bisweilen mit dem Gedanken gespielt, das Experiment Weimar zu beenden. Das Gefühl war ihm wichtig, jederzeit wieder gehen zu können, wenn ihm der Sinn danach stand. So fühlte er sich frei. Aus Freiheit hatte er sich auch für den jungen Herzog entschieden. Goethes starke Bindung an den Herzog wird sich in den nächsten Jahren noch zeigen. Er hat sich öfters sehr deutlich darüber ausgesprochen. In einem späteren Brief an Charlotte findet sich ein merkwürdig verklärtes, hochstilisiertes Bild, das emblematisch die Bedeutung dieser Freundschaft bündelt:
Da
〈...〉
kam der Herzog, und wir stiegen, ohne Teufel oder Söhne Gottes zu sein, auf hohe Berge, und die Zinne des Tempels, da zu schauen die Reiche der Welt und ihre Mühseligkeit und die Gefahr sich mit einemmal herabzustürzen.
〈...〉
und wurden von einer solchen Verklärung umgeben daß die vergangene und zukünftige Not des Lebens, und seine Mühe wie Schlacken uns zu Füßen lag, und wir, im noch irdischem Gewand, schon die Leichtigkeit künftiger seliger Befiederung, durch die noch stumpfen Kiele unsrer Fittiche spürten
.
Um einiges knapper hat Goethe sich vier Monate nach der Ankunft in Weimar in einem Brief an den Herzog geäußert:
Und somit können Sie nie aufhören zu fühlen, daß ich Sie liebhabe.
Zu diesem Zeitpunkt entschied sich Goethe, vorerst. An Merck schreibt er:
Meine Lage ist vorteilhaft genug, und die Herzogtümer Weimar und Eisenach immer ein Schauplatz, um zu versuchen, wie einem die Weltrolle zu Gesichte stünde.
〈...〉
ob ich gleich mehr als jemals am Platz bin, das durchaus Scheißige dieser zeitlichen Herrlichkeit zu erkennen
.
Noch ehe Goethe selbst ein Amt übernahm, setzte er alle Hebel in
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