Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
großen Geist zur Seite stellen, als Berater und Begleiter, da er aber von der Persönlichkeit Goethes gleich bei der ersten Begegnung bezaubert war, wollte er ihn auch als Freund. Karl August war entschlußfreudig, zupackend und hatte schon als junger Mann ein treffsicheres Urteil über Menschen. Die Menschenkenntnis galt als seine stärkste Begabung. Er war von den neuen Ideen des ›Sturm und Drang‹ angesteckt, er schätzte Offenheit, Natürlichkeit und bisweilen sogar Derbheit. Empfindsamkeit war ihm lächerlich. Religion bedeutete ihm nicht viel, wenn sie nicht einen Nutzen für das Regierungsgeschäft hatte. Er hatte ein natürliches Gefühl für Souveränität, und wartete ungeduldig darauf, mit erreichter Volljährigkeit sogleich die Regierungsgeschäfte vollständig von seiner Mutter zu übernehmen. Nach dem Vorbild seines Großonkels wollte er sein Land vernünftig regieren, ohne noch zu wissen, was das genau bedeuten sollte. Er liebte es, Soldaten zu kommandieren und mit ihnen herumzuziehen, sich bei aufwendigen Jagden auszutoben und Mädchen zu erobern.
Als Merck den Herzog kennen lernte, konnte er sofort verstehen, warum Goethe ihn schätzte. »Ich sage Ihnen aufrichtig«, schreibt er an Nicolai, »der Herzog ist einer der respektabelsten und gescheutesten Menschen, die ich je gesehen habe – und überlegen Sie dabei, ein Fürst und ein Mensch von zwanzig Jahren.« Karl August war frühreif, aber nicht altklug. Er hatte sich das Jungenhafte, Unbekümmerte, Draufgängerische bewahrt. Man fürchtete um seine Gesundheit, weil er es schätzte, sich Wind und Wetter auszusetzen, verwegen durch die Wälder zu reiten, auf Bäume zu klettern und in Heuschobern oder unter freiem Himmel zu schlafen. In den ersten
tollen
Wochen war Goethe fast bei allen Unternehmungen dabei, nicht ohne dem herzoglichen Freund seine Besorgnis über die
allzu große Hitze
mitzuteilen,
dadurch Sie immer im Fall sind, wo nicht was unrechts doch was unnötigs zu tun und Ihre eignen Kräfte und die Kräfte der Ihrigen vergebens anzuspannen
. Einmal stürzte Karl August vom Baum, ein andermal verrenkte er sich eine Schulter beim Ringkampf mit einem Kammerherrn, einmal nächtigte er halb erfroren bei Bauern, wo er vor einem Schneegestöber Zuflucht fand. Es verlangte ihn nach Abenteuer und Gefahr und er spottete über die »künstlichen Herrn«, wie er die zartbesaiteten Höflinge nannte. Er sammelte um sich, die gerne mit dabei sein wollten beim lustigen und weniger lustigen Treiben, die Herren Einsiedel und Wedel, Bertuch, der Maler Kraus und vor allem – Goethe.
Das erste Weihnachtsfest nach Goethes Ankunft hätte der Herzog gerne mit den Freunden verbracht, aber er war an den Hof des Herzogs von Sachsen-Gotha geladen, und so zogen die Freunde alleine zum entlegenen und zugeschneiten Forsthaus Waldeck bei Bürgel. Die Briefe, die Goethe von dort an den Herzog schreibt, lassen den unbekümmerten, männerbündischen Ton ahnen, der in dieser Zeit zwischen ihnen üblich gewesen sein muß. Da sitzt Goethe nach einem Trinkgelage in seiner Kammer und
sudelt
seinen Brief.
Drunten sitzen sie noch, nach aufgehobnem Tische, und schmauchen, und schwatzen daß ich’s durch den Boden höre
. Unterwegs in den Schenken hängen Bilder des Herzogs, den haben sie gegrüßt und haben ihre Kratzfüße gemacht und bemerkt
wie Lieb wir Sie haben
. Es ist ihnen wohl im verschneiten, stillen Haus, während es draußen stürmt und die Sterne blinken. Goethes Gedanken wandern zum Herzog, der gerade einen Galaempfang zu seinem Regierungsantritt über sich ergehen lassen muß:
Gehab dich wohl bei den hundert Lichtern / Die Dich umglänzen / Und all den Gesichtern / Die dich umschwänzen / Und umkredenzen. / Findst doch nur wahre Freud und Ruh / Bei Seelen grad und treu wie du.
Der Herzog läßt durch einen Boten bestellen, er vermisse den Freund so sehr, er möge doch auch herüberkommen und ihm in Gotha Gesellschaft leisten, zudem seien die Leute neugierig auf ihn. Goethe macht sich auf den Weg und läßt sich am Hofe des Herzogs von Sachsen-Gotha blicken, wo er einen großen Eindruck hinterläßt. Einen noch größeren Eindruck macht er ein paar Tage später im Hause der Familie von Keller, denen Wieland von dem neuen Weimar-Bewohner Goethe vorgeschwärmt hat. Wieland hatte ja inzwischen allen Groll über Goethes Satire vergessen und lobte und verherrlichte ihn in den höchsten Tönen. Er sei »geradezu verliebt« in ihn, schreibt er an Jacobi, und Lavater
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