Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
abgelebten Zeiten / Meine Schwester oder meine Frau
.
Goethe hatte sie in einem der ersten Briefe
Besänftigerin
genannt. In dieser Rolle wird er sie auch weiterhin sehen. Ob sie damit zufrieden war, wissen wir nicht, auch nicht, ob sie es nicht ein wenig indiskret fand, was sie da in diesem Gedicht lesen mußte:
Tropftest Mäßigung dem heißen Blute, / Richtetest den wilden irren Lauf, / Und in deinen Engelsarmen ruhte / Die zerstörte Brust sich wieder auf, / Hieltest zauberleicht ihn angebunden / Und vergaukeltest ihm manchen Tag. / Welche Seligkeit glich jenen Wonnestunden, / Da er dankbar dir zu Füßen lag. / Fühlt’ sein Herz an deinem Herzen schwellen, / Fühlte sich in deinem Auge gut, / Alle seine Sinnen sich erhellen / Und beruhigen sein brausend Blut.
Es kam zu Zurückweisungen, immer wieder erinnerte Charlotte an die Grenzen des Schicklichen. Einmal schreibt er ihr nach einem Zusammentreffen:
Wenn ich mein Herz gegen Sie zuschließen will, wird mir’s nie wohl dabei
.
Als Ehefrau, Mutter und Hofdame der sittenstrengen Herzogin war Charlotte sehr auf ihren Ruf bedacht. Bis dahin wußte der Weimarer Klatsch nichts von irgendwelchen Liebesaffären. Ihre Stadtwohnung lag in der Nähe von Goethes Gartenhaus, aber sie vermied es, ihn dort alleine zu besuchen. Sie empfing ihn in ihrer Wohnung, wo oft die Kinder und andere Besucher in der Nähe waren. Der Ehemann allerdings war meistens abwesend. Auf ihrem Landsitz in Großkochberg stand sie weniger unter Beobachtung. Dorthin zog sie sich bisweilen für Monate zurück. Für die Gräfin Görtz liegt der Grund dafür offen zu Tage: »Man sagt, daß Lotte den gesamten Winter auf dem Land verbringen wird, um die üble Nachrede verstummen zu lassen«. Vielleicht aber wurde diese gerade dadurch angeregt.
Auffällig ist, daß Goethe häufig einen Besuch bei Charlotte verband mit einem Besuch bei Anna Amalia, so als käme es darauf an, ein gewisses Gleichgewicht zu wahren. Auch gibt es Anhaltspunkte dafür, daß Charlotte darüber nicht sehr erfreut war. Als er wieder einmal bei Amalia auf Schloß Ettersburg war, schreibt er hinterher an Charlotte:
Ich seh nun wie meine Gegenwart sie plagt,
und vermerkt im Tagebuch unter dem Sonnensymbol (das für Charlotte steht):
finsternis.
Über den Besuch auf Schloß Ettersburg aber hatte er notiert
Herrliche Nacht
. Ob Charlotte wirklich Grund zur Eifersucht hatte, ob also Goethe gleichzeitig ein amouröses Verhältnis zu Amalia unterhielt, wissen wir nicht, wenn es auch schon damals Leute gab, die so taten, als wüßten sie es.
Von Gerüchten umschwirrt war auch Corona Schröter, die schöne Schauspielerin, die, von Goethe und dem Herzog überredet, von Leipzig nach Weimar kam. Sie hielt sehr auf ihren Ruf und ließ sich begleiten von einer Art Kammerzofe. Der Herzog, der sie heftig umwarb, hatte bei ihr keinen erotischen Erfolg. Auch Goethe war ihr sehr zugetan, und er wird ihr später die Rolle der Iphigenie auf den Leib schreiben. Dort wird sie sich zeigen können, wie er sie sieht: schön und leidenschaftlich, doch auch sittsam und rein. Mit seiner Leidenschaft für sie hatte er zu Anfang noch sehr zu kämpfen. Das Tagebuch vermerkt unter dem 2. Januar 1777 einen Besuch bei ihr und danach:
nachts fieberhaft
, und am 6. Januar wieder nach einem Besuch bei Corona:
Nicht geschlafen. Herzklopfen und fliegende Hitze.
Corona erregt ihn. Am 8. Mai nutzt er die Abwesenheit Charlottes aus und verbringt einen ganzen Tag mit Corona in seinem Gartenhaus. Vielleicht hatte Charlotte davon gehört, denn wenige Tage später war auch sie im Gartenhaus, was sehr selten vorkam.
Während sich das Band zu Charlotte trotz mancher Irritationen allmählich immer fester knüpfte, durchlebte Goethe die erste leidenschaftliche Freundschaftsphase mit dem jungen Herzog. Merck, der den Herzog gut kannte, schreibt über das Verhältnis der beiden in einem Brief an Lavater: »Der Herzog ist einer der merkwürdigsten jungen Leute, die ich je gesehen habe ... Goethe liebt ihn wie keinen von uns, weil vielleicht keiner ihn so nötig hat als dieser, und so wird ihr Verhältnis ewig dauren – denn Goethe kann ihn nicht verlassen, oder er müßte nicht mehr der sein, der er ist, und der Herzog wird je sowenig mit ihm brechen als einer von denen, die Goethes Freunde sind.«
Der Herzog war im aufgeklärten Geist erzogen worden, er liebte Voltaire über alles und bewunderte seinen Großonkel Friedrich II. von Preußen. So wie dieser wollte er sich einen
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