Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
bittet er, seinen letzten Brief »zu vernichten«, in dem er noch schlecht über Goethe geredet hatte. In einem Brief an Meusel heißt es knapp und entschieden: »Goethe, den wir seit neun Tagen hier besitzen, ist das größte Genie und der beste, liebenswerteste Mensch, den ich kenne«.
Nun also, von Wieland herbeigelockt, zeigte sich Goethe bei den Kellers in Stedten, in der Nähe von Gotha. Wieland hatte den Leuten, die sich dort versammelten, besonders den Töchtern des Hauses, nicht zu viel versprochen. Goethe war gut gelaunt, glänzend in Form, sprudelte von Einfällen, las vor, erzählte und trieb Schabernack. Wieland hielt die Eindrücke dieses Besuchs in seinem Gedicht »An Psychen« fest, mit Ironie, die aber unter der Sonne der Bewunderung dahinschmilzt: »Ein schöner Hexenmeister es war, / Mit einem schwarzen Augen-Paar, / Zaubernden Augen voll Götterblicken, / Gleich mächtig zu töten und zu entzücken. / So trat er unter uns, herrlich und hehr, / Ein echter Geisterkönig, daher! / Und niemand fragte: wer ist denn der? / Wir fühlten beim ersten Blick: ’s war Er! / Wir fühlten’s mit allen unsern Sinnen, / Durch alle unsre Adern rinnen. / So hat sich nie in Gotteswelt / Ein Menschensohn uns dargestellt, / 〈...〉 / So mächtig alle Natur umfaßt, / So tief in jedes Wesen sich gräbt / Und doch so innig im Ganzen lebt! // Das laß mir einen Zaubrer sein! / 〈...〉 / Was macht er nicht aus unsern Seelen? / Wer schmelzt wie er die Lust in Schmerz? / Wer kann so lieblich ängsten und quälen? / In süßen Tönen zerschmelzen das Herz? / Wer aus der Seele innersten Tiefen / Mit solch entzückendem Ungestüm / Gefühle erwecken, die ohne ihm / Uns selbst verborgen im Dunkeln schliefen?« Karl August war an diesem denkwürdigen Abend auch dabei und war stolz auf den »Zauberer«, immerhin seine erste Eroberung für Weimar.
Goethe war der unbestrittene Mittelpunkt des Kreises um den jungen Herzog, ein Anreger, Ideengeber auch bei fragwürdigen Streichen. Einmal, es war im Sommer 1776 in Ilmenau, wo man die Möglichkeit der Wiederbelebung des dortigen Bergbaus sondierte, unternahm man einen Ausflug ins nahe gelegene Stützerbach. Der Bergrat von Trebra war dabei und erzählt in seinen Erinnerungen von jenem »lebenvollen Zirkel«, in dem offenbar »alles erlaubt« war. »Unbewacht ausgelassen zu sein, war hier, wo nicht gefordert, doch nicht ungern gesehen, wohl gar gewünscht.« Man wollte sich in Weinlaune die Haare abschneiden. Goethe riet ab mit der Bemerkung, das könne man zwar »machen«, doch nicht »sie wieder wachsen machen«.
Trebras Bericht ist viele Jahre später aufgeschrieben worden und zeigt das Bemühen, dem »freundschaftlich leitenden Genius« bei allen Tollheiten eine mäßigende Wirkung zuzubilligen. So hat denn auch die Frau von Stein, nach der ersten Ablehnung des Genietreibens, sich das Verhalten Goethes zurechtgelegt: »Goethe verursacht hier einen großen Umsturz; wenn er auch wieder Ordnung machen kann, um so besser für sein Genie! Sicherlich ist seine Absicht gut, aber zu große Jugend und zu geringe Erfahrung – doch warten wir das Ende ab!«
Goethe ist aber nicht ganz wohl bei dem Gedanken, daß die Eltern in Frankfurt von den Weimarer Untrieben allzu viel erfahren könnten. Im Frühjahr 1776 sollte der Oberstallmeister Josias von Stein, Charlottes Ehegemahl, dienstlich nach Frankfurt reisen und würde dabei Goethes Eltern besuchen. Deshalb gibt Goethe dem ›Tantchen‹ Fahlmer vorsorglich einige Instruktionen. Man möge den
braven Mann
gut empfangen, müsse aber darauf gefaßt sein, daß er manches Unschöne über die hiesigen Verhältnisse würde verlauten lassen. Am besten, man frage nicht weiter nach und halte sich bedeckt,
nur muß man über meinen hiesigen Zustand nicht allzu
entzückt
scheinen.
Ferner sei Stein
nicht ganz mit dem Herzog zufrieden, wie fast all der Hof weil er ihnen nicht nach der Pfeife tanzt, und mir wird heimlich und öffentlich die Schuld gegeben, sollt er so was fallen lassen, muß man auch darüber hingehn. Überhaupt mehr fragen als sagen, ihn mehr reden lassen als reden
.
Doch es drangen Gerüchte nicht nur zu den Eltern nach Frankfurt, sondern auch in die allgemeine Öffentlichkeit. Die Übersiedlung Goethes nach Weimar hatte ja bereits Aufsehen erregt, und man war nun neugierig, was daraus würde. Man fühlte sich, wie auch der Herzog selbst, an das zeitweilige Bündnis zwischen Voltaire und Friedrich dem Großen erinnert. Man sah
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