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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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wird Goethe lästig. Für ihn ist es ein Beispiel für jenes weltfremde Literatentum, das die Welt mit Ideen kurieren zu können glaubt, und das doch nicht imstande ist, für sich selbst zu sorgen.
Die Gebrechen jenes Zustandes
〈des Militärwesens〉
waren ziemlich gut gesehen
, schreibt Goethe rückblickend in »Dichtung und Wahrheit«,
die Heilmittel dagegen lächerlich und unausführbar.
Er empfahl Lenz Zurückhaltung in dieser Angelegenheit, mochte auch er selbst davon abgestoßen sein, wenn Soldaten, wie üblich, auf dem Marktplatz ausgepeitscht wurden. Er wird sich einige Jahre später als Leiter der Militärkommission mit dem Soldatenwesen herumärgern müssen und er wird erst 1782 an der Spitze der Finanzkommission eine drastische Reduzierung der kleinen Armee durchsetzen können, um die horrende Verschuldung des Staates zurückzuführen. Auch so ließen sich menschenfreundliche Bestrebungen verwirklichen: Die Sparsamkeit zwang dazu.
    Am 4. April 1776 war Lenz in Weimar angekommen und hatte Goethe, der soeben von Leipzig wieder eingetroffen war, einen Zettel mit dem Vers zukommen lassen: »Der lahme Kranich ist angekommen. Er sucht, wo er seinen Fuß hinsetze«. Noch hatte Goethe sein Gartenhaus nicht bezogen, sondern wohnte beim Hofkassierer König, in der Nähe des Fürstenhauses. Er konnte ihn nicht bei sich unterbringen, besorgte ihm aber eine Unterkunft. Am nächsten Tag bereits führte er ihn bei der Frau von Stein und bei Hofe ein. Im literaturbewanderten Kreis um Anna Amalia hatte man schon von Lenz gehört, bis dorthin war sein Ruf als Dramatiker gedrungen. Auch Wieland war neugierig auf einen Autor, der freche Satiren über ihn geschrieben hatte, und zeigte sich überrascht, einen so sanften und schüchternen Menschen vorzufinden; er habe den Jungen liebgewonnen, schrieb er nach dem ersten Zusammentreffen. Lenz wurde überall herumgereicht und fand Anklang. Doch vier Wochen später muß es zu einem halb ärgerlichen, halb lächerlichen Vorfall gekommen sein:
Lenzens Eselei von gestern Nacht hat ein Lachfieber gegeben. Ich kann mich gar nicht erholen
, schreibt Goethe an Charlotte von Stein.
    Man weiß nicht genau, worauf sich diese Bemerkung bezieht; es könnte damit jenes Ereignis gemeint sein, das Falk viele Jahre später berichtete. Danach sei Lenz bei einem Maskenball der Hofgesellschaft im Domino-Kostüm erschienen. Entweder war ihm der exklusive Charakter dieses Balls nicht bekannt, oder er wollte sich nicht davon beeindrucken lassen. Er machte jedenfalls Skandal. Die Frauen wichen vor ihm zurück, als er sie zum Tanz aufforderte, und die Herren standen und saßen wie versteinert. Goethe beförderte Lenz schließlich hinaus.
    Doch der Ärger, den Lenz erregte, war zunächst noch nicht nachhaltig, er war weiterhin wohl gelitten bei Hofe. »Ich bin hier verschlungen vom angenehmen Strudel des Hofes, der mich fast nicht zu Gedanken kommen läßt«, schrieb er an Lavater. Die Hofleute, wie Kalb und Einsiedeln, nahmen ihn mit bei Ausritten und zogen ihn in die wilde Schar um den Herzog und um Goethe. Auch die Frau von Stein fand Gefallen an ihm. Man nannte Lenz einen »netten Jungen« und behandelt ihn auch so, ein wenig von oben herab. Es kam vor, daß man ihn beim Blindekuhspiel wie einen Plumpsack herumwarf. Doch nahm man ihn auch ernst, er durfte aus seinen Werken vorlesen und Anna Amalia im Griechischen unterrichten. Der Herzog unterstützte ihn aus seiner Privatschatulle, Hoffnungen auf eine Festanstellung konnte oder wollte er ihm aber nicht machen. Nach der Euphorie der ersten Wochen kam die Enttäuschung. Anfangs hatte Goethe viel Zeit mit ihm verbracht, dann aber hatte er sich allmählich zurückgezogen. Eben noch fühlte sich Lenz als Mittelpunkt eines bunten Treibens, dann plötzlich das Gefühl der Verlassenheit. Kurz entschlossen reiste er ab, blieb aber in der Nähe. An Goethe schrieb er: »Ich geh aufs Land, weil ich bei Euch nichts tun kann.«
    Das war genau zu der Zeit, da Goethe als Legationsrat ins Geheime Consilium berufen wurde, gegen den Widerstand der alteingesessenen Beamten, die sich über die Bevorzugung eines »Schöngeistes« ärgerten. Grund genug für Goethe, einige Distanz zwischen sich und diesen ominösen »Schöngeist« zu legen. Lenz quartiert sich in Berka ein, einem kleinen Ort unweit von Weimar. Dort verfaßt er die Erzählung »Der Waldbruder«, eine Variation auf das Werther-Motiv, eine vertrackte Liebesgeschichte in Briefen. Im Mittelpunkt steht ein

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