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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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verzichtete, weil dieser davon abriet oder auch einfach die Manuskripten nicht wieder herausgab. Im umgekehrten Fall war es einmal zu einer Verstimmung gekommen, als Goethe 1774 seine Satire auf Wieland »Götter Helden und Wieland« Lenz überlassen hatte, der sie dann einem Verleger übergab – ohne Zustimmung Goethes, wie dieser später behauptete. So oder so, die beiden tauschten jedenfalls ihre Manuskripte im Gefühl geistiger Verwandtschaft. Für Goethe war Lenz wie ein jüngerer Bruder, der es schwerer hatte und dem er unter die Arme griff, wenn es nötig war. Und für Lenz war Goethe ein Ebenbild, in dem aber alles vergrößert, gelungen, strahlend herauskam und bei dem sich Schmerz und Leiden in Schönheit und Anmut aufzulösen schienen. Die Frauen und Mädchen, von denen sich der kleine Lenz als Spielzeug behandelt fühlte, sah er bei Goethe in Verliebtheit und Bewunderung hinschmelzen. Und doch eiferte er dem bewunderten Freund auch auf erotischem Gebiet nach. Er warb, nach Goethes Verschwinden aus Sesenheim, um die verlassene Friederike, schrieb ihr Gedichte, die sie zu den Goetheschen legte. Als man sie später in ihrem Konvolut fand, die meisten ohne Autorangabe, konnte man kaum unterscheiden, welche von Goethe und welche von Lenz stammten. Es lebte in ihnen ein Geist und eine Stimmung.
    Die Freundschaft mit Goethe beflügelte Lenz und drückte ihn nieder. So klein wie ihm gegenüber empfand er sich bei anderen nicht. Die ihn sonst näher kannten und eigenes Urteil besaßen, sparten nicht mit Lob und Anerkennung. Lavater, Sophie von La Roche, Fritz zu Stolberg, Merck schrieben ihm Briefe voller Bewunderung. Herder, in der Regel besonders kritisch und kaum zu Enthusiasmus geneigt, bat ihn, ihm »Die Soldaten« zu schicken: »Du bist der Erste Mensch, für den ich schreibe, und kannst Du herrlich durchblicken, entschuldigen, überblicken, raten. Schicke mir doch das Stück«.
    Im Herbst 1774 kündigte Lenz den Baronen Kleist seine Dienste auf und unternahm den zweiten Versuch, sich als freier Autor zu etablieren. Er hatte inzwischen zahlreiche Dramen, Komödien und Szenen verfaßt, dazu moralphilosophische, theologische, dramaturgische und sprachwissenschaftliche Schriften, vieles blieb unveröffentlicht. Er durchlebte Monate voller Schaffenslust, aber auch mit bedrückenden materiellen Sorgen. Er wußte oft nicht, wovon er den nächsten Tag leben sollte. Die Miete seines Quartiers in Straßburg konnte er nicht bezahlen. Er lieh sich Geld und bezahlte Schulden mit Schulden, war wieder einmal in eine unglückliche Liebesgeschichte verwickelt, die ihn auch finanziell teuer zu stehen kam. Ein Mädchen hielt ihn solange hin, bis sich für sie eine bessere Partie bot. Man muß sich »durch Kot« hindurcharbeiten und wird, wie er an Herder schrieb, schmerzhaft daran erinnert, »daß wir auch Tiere bleiben, und nur Klopstocks Engel und Miltons und Lavaters Engel auf den Sonnenstrahlen reiten.«
    Im Frühjahr 1776 entschloß er sich, in Weimar Zuflucht zu suchen bei dem Freund, von dem er hofft, er werde ihm eine Anstellung verschaffen können. Er will sich nützlich machen. Im Reisegepäck führt er ein Reformkonzept für die Militärausbildung bei sich, das Ergebnis des Nachdenkens über seine bedrückenden Erfahrungen mit dem Soldatenwesen in Straßburg. Er beabsichtigt, dem jungen Herzog seine Ideen über eine menschenwürdige Behandlung der Soldaten vorzutragen. »Wofür ficht unser Soldat?«, heißt es in der Denkschrift, die er dem Herzog überreicht, »Für den König, fürs Vaterland? Ha, um für sie mit Nachdruck fechten zu können, muß er sie lieben können, muß er von ihnen Wohltaten erhalten haben. 〈...〉 Wohlstand, Selbstverteidigung sehen Sie da die einzigen noch übrigen Keime der ersterbenden Tapferkeit. Ersticken Sie sie – und alles ist verloren. Der Soldat muß für sich selbst fechten, wenn er für seinen König ficht«.
    Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Soldaten sind ihm sehr wichtig. Als ob es um sein Leben geht. An Herder schreibt er kurz vor Reisebeginn: »Ich habe eine Schrift über die Soldatenehen unter Händen, die ich einem Fürsten vorlesen möchte, und nach deren Vollendung und Durchtreibung ich – wahrscheinlichst wohl sterben werde.« Lenz möchte nicht als Bittsteller in Weimar erscheinen, er wünscht, den dortigen Herrschaften etwas geben zu können. Er möchte dem großen Freund nicht zur Last fallen. Aber gerade dieses Projekt, das sich Lenz vorgenommen hat,

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