Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
ihr und Goethe zu Spannungen gekommen war. Anfang September 1776 hatte Goethe ihr geschrieben:
Wir können einander nichts sein und sind einander zu viel
〈...〉
Ich will dich nicht wiedersehn
〈...〉
Es ist alles dumm was ich sagen könnte.
Wenige Tage später, als Lenz von Berka her wieder in Weimar aufgetaucht war und über Goethe die Einladung nach Großkochberg empfangen hatte, ein merkwürdiger Brief Goethes an Charlotte:
Ich schick Ihnen Lenzen, endlich hab ich’s über mich gewonnen. O Sie haben eine Art zu peinigen wie das Schicksal
〈...〉
Er soll Sie sehn, und die verstörte Seele soll in Ihrer Gegenwart die Balsamtropfen einschlürfen um die ich alles beneide. Er soll mit Ihnen sein – Er war ganz betroffen da ich ihm sein Glück ankündigte, in Kochberg mit Ihnen sein, mit Ihnen gehen, Sie lehren, für Sie zeichnen, Sie werden für ihn zeichnen, für ihn sein. Und ich – zwar von mir ist die Rede nicht, und warum sollte von mir die Rede sein – Er war ganz im Traum da ich’s ihm sagte, bittet nur Geduld mit ihm zu haben, bittet nur ihn in seinem Wesen zu lassen. Und ich sagt ihm daß er es, eh er gebeten, habe.
〈...〉
Ade. Von mir hören Sie nun nichts weiter, ich verbitte mir auch alle Nachricht von Ihnen oder Lenz.
Der Brief bleibt zunächst liegen und wird erst zwei Tage später abgeschickt mit dem Zusatz:
ich hatte Bedenken Ihnen die vorhergehende Seite zu schicken, doch Sie mögen sehn wie mir’s im Herzen manchmal aussieht, wie ich auch ungerecht gegen Sie werden kann.
Entweder ist Goethe eifersüchtig, oder er spielt den Eifersüchtigen. Charlottes Wunsch, Lenz eine Weile bei sich zu beherbergen,
peinigt
ihn. Selbstquälerisch hebt er Lenzens
Glück
hervor und malt die traute Gemeinsamkeit der beiden aus, stilisiert sich als jemand, von dem nicht mehr
die Rede
ist. Wenn dem so ist, dann will auch er nichts mehr von den beiden hören. Er verbittet sich
alle Nachricht.
Im Nachsatz gibt er zu, daß er wohl doch
ungerecht
gegen Charlotte ist. Was heißt das? Vernünftig betrachtet weiß auch er, daß wohl doch kein Grund zur Eifersucht besteht. Lenz erscheint in diesem Brief als sein Geschöpf.
Ich schick Ihnen Lenzen
, schreibt er, und berichtet, wie er ihm sein Glück angekündigt, wie er dessen Selbstzweifel zerstreut und ihm Mut gemacht habe. Mut wozu? Offenbar dazu, die Chance, die sich ihm bietet, zu ergreifen. Er stiftet ihn geradezu an. Es muß auf Charlotte kränkend gewirkt haben, wie Goethe sich in diesem Brief von Eifersucht gequält und zugleich kupplerisch gibt.
Ob Lenz das Spiel durchschaut hat? Schon nach wenigen Tagen schreibt er an Goethe, in einem Glück schwelgend, von dem er sich zu viel verspricht. »Ich bin zu glücklich Lieber als daß ich Deine Ordres Dir von mir nichts wissen zu lassen nicht brechen sollte; 〈...〉 Dir alle die Feerei zu beschreiben in der ich itzt existiere, müßte ich mehr Poet sein als ich bin.« »Feerei« mit Charlotte? Das macht Goethe nun doch unruhig. Dagegen hilft ein kaltes Bad.
Da bin ich noch ins Wasser gestiegen und habe den Alten Adam der Phantaseien ersäuft,
schreibt er an Charlotte.
Im November kehrte Lenz wieder nach Berka zurück. Von Charlotte hatte er sich mit einem Gedicht verabschiedet, »Wo in mein Herz der Himmel niedersank / Den ich aus ihrem Blick, wie selig, aus dem Schimmer / Der Gottheit auf der Wange trank«. Lenz faßt gute Vorsätze, er wird sich nicht mehr zum Narren halten lassen, er wird nicht mehr mit sich spielen lassen. In seinem »Waldbruder« zitiert er einen Satz von Rousseau: »der Mensch soll nicht verlangen, was nicht in seinen Kräften steht, oder er bleibt ewig ein unbrauchbarer schwacher und halber Mensch.« Charlotte hatte ihm eine Anstellung bei der Herzogin in Aussicht gestellt, womöglich als Vorleser. Das würde in seinen Kräften stehen.
Während Lenz wieder alleine in Berka haust, Pläne schmiedet, sich Hoffnungen hingibt, dann wieder verzagt und verzweifelt ist, hat Goethes Stimmung sich wieder aufgehellt.
Wieviel wieder lebendig wurde!,
schreibt er an Charlotte von Stein am 8. November 1776:
Ach die acht Wochen haben doch viel verschüttet in mir, und ich bleib immer der ganz sinnliche Mensch
. Er ist unternehmungslustig, widmet sich den für ihn noch neuen Regierungsgeschäften, reitet im Land umher, geht bei Hofe ein und aus, besucht fleißig die Frau von Stein, die Herzogin und Anna Amalia, arbeitet im Garten, pflanzt Linden und
allerlei Zeugs
, dazwischen schreibt er an seinem
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