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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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lockert, kann es geschehen, daß er sich öffnet. Dann ist er wieder so hinreißend beredt, zugewandt und hingebungsvoll wie früher, doch es geschieht mit stärkerer Selbstkontrolle. Er hält an sich und geht aus sich heraus, nach eigener Regie.
Ich richte mich ein in dieser Welt, ohne ein Haar breit von dem Wesen nachzugeben was mich innerlich erhält und glücklich macht.
Das Innen und Außen trennt er stärker voneinander, als er es vorher getan hat, mit sicherem Gespür aber für das eigene
Wesen
, das ihn
innerlich erhält.
Manche nahmen daran heftigen Anstoß, zeigten sich enttäuscht. Wieland zum Beispiel, der in den ersten Monaten ganz verzaubert war, klagt in einem Brief an Merck: »Nun ist’s, als ob 〈...〉 ihn sein Genius ganz verlassen hätte; seine Einbildungskraft scheint erloschen; statt der allbelebenden Wärme, die sonst von ihm ausging, ist politischer Frost um ihn her.« Merck verwahrt sich zunächst gegen diese Sichtweise, Goethe habe »nicht das geringste 〈...〉 von seiner ehemaligen poetischen Individualität abgelegt, dagegen aber an Hunger und Durst nach Menschenkenntnis und Welthändeln und der daraus folgenden Weisheit und Klugheit wie ein Mann zugenommen«. Ein Jahr später war auch Merck irritiert über das Verhalten Goethes, der ihm »mit einer Trockenheit und Kälte« begegnet sei, »als ob ich aus seinem alten Freunde ein subalterner Diener und ein Supplikant geworden wäre.«
    Das war geschrieben nach Mercks Besuch im Sommer 1779. Goethe hatte diese Begegnung ganz anders erlebt, denn im Tagebuch notierte er:
Gute Wirkung auf mich von Mercks Gegenwart, sie hat mir nichts verschoben, nur wenige dürre Schalen abgestreift und im alten Guten mich befestigt.
〈...〉
mir meine Handlungen in einem wunderbaren Spiegel gezeigt. da er der einzige Mensch ist der ganz erkennt was ich tu und wie ich’s tu, und es doch wieder anders sieht wie ich, von anderem Standort, so gibt das schöne Gewißheit.
    Die
schöne Gewißheit,
daß seine Entscheidung für Weimar richtig sei, besaß Goethe in den ersten beiden Jahren noch nicht. Man merkt, wie er sich selbst zu überzeugen versucht. Er hatte sich etwas zu beweisen. Dabei handelte er energisch und konsequent. Schritt für Schritt drang er tiefer in die Regierungsgeschäfte ein und übernahm Verantwortung. Doch er nennt es auch einen Versuch, wie ihm denn die
Weltrolle
zu Gesicht stünde und wie es seiner poetischen Natur dabei erginge.
    Ein Ausdruck dieses inneren Abwägens der Neigungen, von denen eine ihn zur Poesie und Kunst die anderen in das
Weltgeschäft
hinüberzog, war »Wilhelm Meisters theatralische Sendung«, die erste, zu Lebzeiten nicht veröffentlichte, Fassung des Romans. Anfang 1777 begann er mit dem Diktat, das er dieses Jahr über fortsetzte. In diesem Zeitraum entstand das erste Buch, dann ruhte die Arbeit daran und wurde erst Anfang der achtziger Jahre wieder aufgenommen. Schon der Umstand, daß Goethe den Roman nicht, wie noch den »Werther«, mit eigener Hand schrieb, zeigt eine gewisse Distanz. Man schreibt anders, wenn man diktiert. Man ist nicht alleine mit dem Geschriebenen, das durch das Medium des Schreibers seine Unmittelbarkeit, den reinen Herzensausdruck, verliert. So sind es nicht mehr, wie beim »Werther« expressiv
hingewühlte
Briefe, die den Leser in eine fiktive Intimität hineinziehen, sondern es herrscht der ruhige Ton eines auktorialen Erzählers, beginnend bei der Kindheit des Protagonisten. Erzählt wird die Geschichte einer Theaterleidenschaft, die beim Puppenspiel anfängt.
Er war wechselsweise mit ihnen bald Jäger, bald Soldat, bald Reuter, wie es die Eigenschaften der Spiele mit sich brachte, doch hatte er immer darin einen Vorzug vor den andern, daß er im Stande war, ihnen die nötigen Gerätschaften schicklich auszubilden
.
    In Rollen zu schlüpfen und sich zu zeigen, das ist gesteigertes Leben für Wilhelm. Doch er ist auch bereit, das Handwerk des Spiels zu lernen. Er läßt sich vor der Rampe verzaubern und will sich doch auch hinter den Kulissen auskennen. Er ist selbst vom Spiel ergriffen und genießt es, wenn es ihm gelingt, das Publikum zu ergreifen. Er glaubt an das, was er den anderen vormacht. Seine Stimmung hängt von der Zustimmung ab, die er findet. Bald begreift er, daß die Theaterwelt eine fragile Konstruktion ist, in der Balance gehalten nur durch die Kraft der Begeisterung, mit der sich die Beteiligten gegenseitig anstecken. Die Störquelle ist ein robuster Realismus, der

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