Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Sie aber ganz nach Ihrem Herzen, und wenn meine Gründe nicht in Ihr Herz übergehen, Ihnen mit der Überzeugung nicht auch Ruhe und getrosten Mut in Jena versprechen, so bleiben Sie in Ihrer jetzigen Stille
. Ausdrücklich versprach er ihm die Unterstützung sogar für den Fall, daß Kraft das Angebot ausschlagen würde. Goethe vermied alles, was demütigend wirken konnte. Kraft sollte seine Abhängigkeit so wenig wie möglich spüren, deshalb betont Goethe besonders seine Dankbarkeit für die Dienste, die dieser ihm erweist, wenn er sich zum Beispiel um die Erziehung von Peter im Baumgarten kümmert, worum Goethe ihn gebeten hatte. Er ermuntert ihn, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben,
es ist auch eine Zerstreuung und mich vergnügt’s
. Ein andermal schreibt er:
Möchte ich doch im Stande sein, Ihren trüben Zustand nach und nach auszuhellen und Ihnen eine beständige Heiterkeit zu erhalten.
Wenn Kraft in Anfällen von Schwermut ihm seine »Nichtswürdigkeit« klagt, beruhigt er ihn:
Sie sind weder in meiner
Achtung gesunken
noch hab ich eine
n schlechten Begriff
von Ihnen,
〈...〉
noch hat Ihre Denkungsart in meinen Augen einen
Flecken
bekommen
.
In der Zeit, da Goethe seine Hilfsbereitschaft bei dem schweizerischen Burschen mit der Pfeife und den unverständlichen Reibelauten und bei dem traurigen Kraft zeigt, formuliert er in einem Brief an Charlotte von Stein ein paar Maximen, an denen er sich zu orientieren verspricht:
Man soll tun was man kann einzelne Menschen vom Untergang zu retten. – Dann ist aber noch wenig getan vom Elend zum Wohlstand sind unzählige Grade. – Das Gute was man in der Welt tun kann ist ein Minimum pp
.
Es gibt nichts Gutes, außer man tut es, und zwar im konkreten Einzelfall. Die Rhetorik der Menschheitsverbesserung, die für den ›Sturm und Drang‹ charakteristisch war und dessen Abgesandte nun bei ihm vor der Tür standen, wird zurückgewiesen. Wenn Goethe, wie es seit 1779 seine Aufgabe war, sich um den Wegebau kümmert, um die Trockenlegung von Sumpfgebieten, um die Bodenkultivierung, um eine Verbesserung des Brandschutzes, um den Bergbau in Ilmenau, um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen dort, um die Organisation der Hilfe bei Überschwemmungen, wenn er die Ausgaben bei Hofe zum Zwecke von Steuererleichterungen einzuschränken und der für die Bauern verheerenden Jagdleidenschaft des Herzogs Einhalt zu gebieten sucht, wenn er die Zahl der Soldaten reduziert und auf ihre menschlichere Behandlung dringt, dann geht er zwar über das Helfen im Einzelfall hinaus und strebt eine Verbesserung der Situation an, doch in den Grenzen seines Einflußbereiches. Man soll tun, was man kann und dort, wo man steht und geht, und das alles ohne Redensarten – das ist sein Grundsatz. Dabei macht er sich keine Illusionen, er weiß, wie wenig es ist, was er tun kann. Aber besser, es wird getan.
Es fehlt ihm also nicht an Mitgefühl und Hilfsbereitschaft. Wenn er sich so schroff von Klinger und Lenz abwendet, so deshalb, weil ihm, der sich gerade in Pragmatismus übt, alles zuwider ist, was an die großsprecherischen Empörungsgesten von Literaten erinnert, zu denen er eben noch gehört hatte. Ein paar Jahre später bei den Auswirkungen der Französischen Revolution wird er die politisierenden Literaten abfällig und verärgert die
Aufgeregten
nennen. Goethes politischer Pragmatismus ist gegen den gesinnungsstarken politischen Dilettantismus gerichtet. Den Dilettantismus verachtet er eben nicht nur bei der Kunst. Nichts gegen Liebhaberei, doch sie sollte ihre Grenzen kennen. Das gilt für die Kunst ebenso wie für die Politik. Auch in politischen Dingen sollte man sich an der Solidität des Handwerks orientieren. Im Tagebuch notiert er:
Jedes Werk was der Mensch treibt, hat möcht ich sagen einen Geruch. Wie im groben Sinn der Reuter nach Pferd riecht, der Buchladen nach leichtem Moder und um den Jäger nach Hunden. So ist’s auch im Feinern.
〈...〉 Der Meister
traumt nicht im allgemeinen
〈...〉
Wenn er handeln soll greift er grad das an was jetzt nötig ist.
Der Sinn für den richtigen Griff und Eingriff bedeutet dann auch im Politischen, daß
alles anmaßliche versiegen
muß. Erst dann kann sich die
schöne Kraft
bewähren.
Die Freunde und Bekannten bemerkten damals eine allmähliche Veränderung in Goethes Auftreten. Er wird schroffer, manchmal wortkarg, gibt sich zugeknöpft, besonders in den ersten Momenten. Dann aber, wenn er Feuer fängt und der formelle Zwang sich
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