Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Vor allem aber werden sie
sich festsetzen, und überall Wurzel fassen
, und man wird sie nicht mehr los. Die Unabhängigkeit des Landes wäre damit bedroht.
Entschließt man sich aber, die Aushebungen für Preußen selbst vorzunehmen, so ist es
ein unangenehmes verhaßtes und schamvolles Geschäft
, zudem würden manche zwangsweise Rekrutierte desertieren, woraufhin preußische Soldaten einrücken würden, um die Entflohenen zurückzuholen oder sich im Lande Ersatz zu besorgen. Ein
Ende des Verdrusses
wäre wohl auch deshalb nicht abzusehen, weil Österreich eine herzogliche Aushebung von Soldaten für Preußen nicht hinnehmen würde. Österreich würde entweder selbst Aushebungen im Herzogtum veranlassen oder das Land der gegnerischen Kriegspartei zurechnen, mit fatalen Folgen. Man befände sich dann nämlich wirklich im Krieg. Was ist zu tun? Goethe bestärkt den Herzog darin, Zeit zu gewinnen, und empfiehlt ihm, die Zeit zu nutzen, indem man sich mit den kleineren und mittleren Fürstentümern Hannover, Mainz, Gotha verständigt und ein
näheres Band
mit ihnen knüpft, um sich gemeinsam
vor den Beschwerden des benachbartes Kriegs auf das möglichste zu schützen
. Das wäre für die Zukunft ein Gewinn, auch wenn man sich gegenwärtig des preußischen Ansinnens nicht würde erwehren können. Das ist nichts anderes als das Konzept eines Fürstenbundes der Kleinen und Mittelgroßen zwischen Preußen und Österreich. Goethe hat sich das gut ausgedacht. Die Überlegungen zeigen, wie er von den Überlebensmöglichkeiten der Kleinstaaten her denkt. Der Ordnung durch Hegemonie zieht er die Ordnung vor, welche durch ausbalancierte Gleichgewichtsverhältnisse zwischen einer Vielzahl von politischen Einheiten zustande kommt. In dieser Orientierung an der kooperierenden Vielfalt erweist er sich immer noch als ein Schüler von Justus Möser. Doch was er sich erhoffte und woran er mitwirken wollte, kam nicht zustande. Erst zwanzig Jahre später wird es einen Bund der Klein- und Mittelmächte geben, die Vereinigung der Rheinbundstaaten, dann aber nicht als Rückhalt gegen die Großmächte sondern als bloßes Instrument der einen, der napoleonischen Großmacht.
Zunächst aber drang Goethe mit seiner Idee durch. In seiner Sitzung vom 21. Februar 1779 schwenkte das Geheime Consilium auf Goethes Linie ein. Beschlossen wurde, daß man mit anderen Höfen, die ihre Neutralität bewahren wollten, eine Verbindung sucht und einstweilen gegen die gewaltsame Anwerbung von Landeskindern protestiert und vorsorglich die eigene Militärpräsenz verstärkt.
Das Herzogtum hatte Glück. Am 13. Mai 1779 wurde mit dem Frieden von Teschen der bayerische Erbfolgekrieg beendet, bei dem die gegnerischen Truppen in einem bitterkalten Winter einander belauert, gehungert und sich um ein paar hartgefrorene Kartoffeln gebalgt hatten. Doch der günstige Ausgang der Angelegenheit war in den ersten Monaten des Jahres noch nicht abzusehen. Goethe war, als Vorsitzender der Kriegskommission, unterwegs im Lande, um die vorsorglichen Rekrutenaushebungen zu überwachen. In diesen Monaten schrieb er die erste Prosafassung der »Iphigenie in Tauris«, jenes Stück, das er später Schiller gegenüber
verteufelt human
nennen wird.
Die leichtgewichtigeren Stücke »Lila« und »Triumph der Empfindsamkeit« waren in den Jahren zuvor jeweils für den Geburtstag der Herzogin geschrieben und auch an diesem Tage, dem 30. Januar, aufgeführt worden. Diesmal war die Herzogin schwanger und man erwartete die baldige Niederkunft. Am 3. Februar 1779 brachte sie eine Tochter zur Welt. Für den 14. März war nach der Erholung vom Wochenbett der erste Kirchgang vorgesehen. Als Goethe am 14. Februar mit der Niederschrift der »Iphigenie« begann, war daran gedacht, das Stück zu dieser Gelegenheit oder kurz danach durch das Liebhabertheater aufführen zu lassen. Diesmal sollte es sich, dem Anlaß entsprechend, um etwas einigermaßen Feierliches und Erbauliches handeln. Auf diesen Zweck hin – eine erbauliche Unterhaltung, die nicht aufregt – ist das Stück angelegt, in diesem Sinne ein Gelegenheitsstück. Die Aufführung kam gut an. Das lag auch daran, daß Corona Schröter als Iphigenie und Goethe als Orest eine gute Figur machten. Coronas junonische Formen und ihr sorgfältig drapiertes seidenes Kostüm paßten zum antikisierenden Geschmack bei Hofe, und Goethe selbst kam so gut zur Geltung, daß der Arzt Christoph Wilhelm Hufeland noch im hohen Alter in Erinnerungen schwelgte:
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