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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Intrige erfindet, mit der es gelingt, den König Thoas zu überlisten, das Bildnis der Artemis zu rauben und die Flucht zu ermöglichen. Der zweite Teil des Stücks ist bei Euripides fast schon eine Komödie: Hohn und Spott über die tumben Barbaren, die sich haben übertölpeln lassen! Am Anfang Grausamkeit und am Ende Spott, dazwischen eine dramatische Zuspitzung – das war antiker Stil. Goethe machte etwas anderes daraus. Später wurde ihm klar, daß es vielleicht Winckelmanns Bild der Antike entspricht (»edle Einfalt, stille Größe«), aber sonst sehr ungriechisch ist. Riemer gegenüber äußerte er 1811: Das Unzulängliche ist produktiv.
Ich schrieb meine Iphigenia, aus einem Studium der griechischen Sachen, das aber unzulänglich war. Wenn es erschöpfend gewesen wäre, so wäre das Stück ungeschrieben geblieben
. Goethe hatte sich sein Griechenland mit der Seele gesucht.
    Am deutlichsten löst sich Goethe von der antiken Vorlage bei der Darstellung des Barbarenkönigs Thoas. Sein Charakter und sein Verhalten machen aus dem tradierten Iphigenie-Stoff ein ganz neues Stück. Im Verhältnis zwischen Iphigenie und Thoas liegt die moralische Pointe des Stückes. Hier erweist es sich als
verteufelt human
. Thoas wirbt um Iphigenie, seine edle Gefangene. Er begehrt sie und er wünscht sich von ihr einen Nachfolger, denn er hat seinen Sohn in einem Krieg verloren. Doch er achtet sie auch, er hätte ihr sonst die Abschaffung des Menschenopfers im Artemis-Tempel nicht zugestanden. Iphigenie rechnet ihm das hoch an, aber sie kann seine Liebe nicht erwidern. Ohne eine solche Liebe kann sie keine Verbindung, wie sie Thoas wünscht, eingehen. In dieser Hinsicht ist Iphigenie ganz modern. Sie beansprucht individuelle Gattenliebe. Alles andere widerstrebt ihrem Reinheitsgebot.
Wie? Sinnt der König, was kein edler Mann, /
〈...〉
/ Je denken sollte? Sinnt er vom Altar / Mich in sein Bette mit Gewalt zu ziehn?
Sie wehrt ihn ab. Sie bringt, um abzuschrecken, ihre verhängnisvolle Abstammung ins Spiel: sie erzählt die Greuel ihrer Vorfahren, des Atridengeschlechtes. Es begann mit Tantalus, der noch an den Tischen der Götter gespeist hatte, aber wegen frecher Anmaßung verdammt wurde. Einer seiner Nachfahren, Atreus, tötete die Söhne seines Bruders und setzte sie dem Bruder zum Mahle vor. Und so setzen sich die Greuel fort bis zu Agamemnon, ihrem Vater. Vor ihm hat ihn die Artemis geschützt, und hinter ihr versteckt sie sich nun. Ihr möchte sie in diesem Tempelbezirk dienen und sich im übrigen von allen Bindungen frei halten. Nur nach Hause möchte sie. Auch sie sucht das Land der Griechen mit ihrer Seele.
    Thoas ist gekränkt durch die Zurückweisung. Er bemächtigt sich ihrer nicht mit Gewalt, aber läßt sie seinen Ärger spüren. Er befiehlt, daß die von Iphigenie abgeschaffte grausame Sitte, die Fremdlinge zu opfern, wieder aufgenommen werden soll. Iphigenie soll den Anfang machen mit den beiden Fremdlingen, die soeben aufgegriffen wurden. Es sind, was Iphigenie und Thoas zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen können, Orest und sein Freund Pylades. Sollte es bei diesem Befehl des Thoas bleiben, müßte Iphigenie ihren Bruder hinschlachten.
    Orest, der gekommen ist, sich zu entsühnen, ist am Ende seiner Kräfte, sehnt sich nach dem Tod und ist sogar bereit, sich opfern zu lassen. Da aber erkennen die Geschwister sich wieder. Zuerst Iphigenie:
O höre mich! O sieh mich an, wie mir / Nach einer langen Zeit das Herz sich öffnet, / Der Seligkeit, dem Liebsten, was die Welt / Noch für mich tragen kann, das Haupt zu küssen, / Mit meinen Armen, die den leeren Winden / Nur ausgebreitet waren, dich zu fassen. / O laß mich! Laß mich!
〈...〉
/ Orest! Orest! Mein Bruder! //
orest
Schöne Nymphe, / Ich traue dir und deinem Schmeicheln nicht.
Dann Orest, der die Schwester in sein Todesverlangen einschließt:
Und laß dir raten, habe / Die Sonne nicht zu lieb und nicht die Sterne; / Komm, folge mir ins dunkle Reich hinab! /
〈...〉
/ Komm kinderlos und schuldlos mit hinab!
Der Wahn umfängt ihn, er versinkt wie betäubt in einen Schlaf, erwachend findet er sich in den Armen Iphigenies und – ist geheilt.
Es löset sich der Fluch, mir sagt’s das Herz. / Die Eumeniden ziehn, ich höre sie, / Zum
Tartarus und schlagen hinter sich / Die ehrnen Tore fernabdonnernd zu. / Die Erde dampft erquickenden Geruch / Und ladet mich auf ihren Flächen ein, / Nach Lebensfreud’ und großer Tat zu jagen.
    Die Szene steht in

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