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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Fräulein von Laßberg, nun dieser Unglücksmensch, auch er ein verzweifelter Werther-Leser, der Goethes Nähe suchte und deshalb wieder bei ihm auftauchte. Er blieb zwei Tage, Goethe gab ihm noch ein Reisegeld auf den Weg, und weil er auch damit das Gefühl unzureichender Zuwendung nicht los wurde, schickte er ihm gleich noch einen Brief hinterher.
    Eben hatte er noch das Gefühl der Ruhe genossen, da verdüsterte sich schon wieder die Stimmung und er verfaßte gereimte Grabinschriften. Eine davon schickte er an Auguste zu Stolberg:
Ich war ein Knabe warm und gut / Als Jüngling hatt ich frisches Blut / Versprach einst einen Mann / Gelitten hab ich und geliebt / Und liege nieder ohnbetrübt / Da ich nicht weiter kann.
    In Wirklichkeit ging es dann doch ganz gut weiter mit ihm, Amtsgeschäfte, im Frühjahr die Arbeit im Garten, die ersten Blumen und Frühgemüse für Charlotte von Stein, an Gottfried August Bürger schickt er 51 Louisdor für die Fortsetzung der Homer-Übersetzung; für Lavaters »Physiognomik« müssen noch ein paar Begleittexte entworfen werden; er schließt das erste Buch von »Wilhelm Meisters theatralischer Sendung« ab, und es kommt ihm »Egmont« wieder in den Sinn, er holt ihn vor und bessert ein wenig an ihm herum. Mitte April mit dem Herzog eine Dienstreise nach Ilmenau, zu den Bergwerken. Im nahen Stützerbach kommt es zu einem plötzlichen Rückfall in frühere wilde Tage. Man speiste bei dem wohlhabenden Kaufmann Glaser, dessen ganzer Stolz ein stattliches Porträt war, ein Bruststück in Öl und in Lebensgröße, das in der guten Stube über der Mittagstafel hing. Goethe schnitt die Kopfpartie des Bildes aus, »durch die hiermit erlangte Öffnung« so erzählt es der Bergrat Trebra später, »schob er sein eigenes männlich braunes, geistiges Gesicht, mit den flammenden schwarzen Augen, zwischen der weißen dicken Perücke durch; setzte sich auf einen Lehnstuhl; stellte das Gemälde im goldenen Rahmen vor sich auf die Knie, und verhing die Beine mit einem weißen Tuche.« Nach Tisch holte man noch Glasers Weinfässer aus dem Keller und rollte sie den Berg hinunter:
Tags über Torheiten
〈...〉
Glasern geschunden
, heißt es in Goethes Tagebuch.
    Ein Monat später: Szenenwechsel. Es wurde Ernst. Goethe begab sich mit dem Herzog zum ersten Mal in diplomatischer Mission auf Reisen: über Leipzig, wo man den befreundeten Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau traf, nach Berlin und Potsdam. Es drohte Krieg zwischen Preußen und Österreich, und das kleine Herzogtum Weimar mußte fürchten, zwischen die Fronten zu geraten.
    Im Dezember 1777 war der bayerische Kurfürst ohne direkte Nachkommen gestorben. Sein Erbfolger Karl Theodor aus der Linie Pfalz-Sulzbach, der schon die Kurpfalz und die Herzogtümer Jülich und Berg besaß und in Mannheim residierte, hatte mit Wien vereinbart, das bayerische Erbe gegen die habsburgischen Niederlande (das heutige Belgien) zu tauschen. Preußen war alarmiert. Friedrich II. wollte die habsburgische Ausdehnung ins Reich hinein nicht hinnehmen. Er gab sich als Verteidiger der protestantischen Sache im Reich und suchte die mittleren und kleinen Fürsten auf seine Seite zu ziehen. Man mußte befürchten, daß Preußen in Vorbereitung möglicher Kriegshandlungen mit oder ohne Zustimmung des Herzogs Soldaten in den Weimarischen Landen ausheben würde. Dadurch würde es schwer sein, sich aus dem Konflikt herauszuhalten. Als der Herzog und Goethe Mitte Mai 1778 nach Potsdam und Berlin reisten, waren die Kriegsvorbereitungen bereits in vollem Gange. Bei der Anreise im Park von Wörlitz genoß Goethe noch einmal eine friedvolle Umgebung in der Erwartung, daß sich das bald ändern könnte und man
im Lärm der Welt und der Kriegsrüstungen
ankommen werde.
Und ich scheine dem Ziele dramatischen Wesens immer näher zu kommen, da mich’s nun immer näher angeht, wie die Großen mit den Menschen, und die Götter mit den Großen spielen.
    Beim Besuch in Berlin und Potsdam gewann Goethe Eindrücke, deren Wiederholung er offenbar nicht wünschte, denn er wird Berlin nie mehr besuchen, auch nicht später dem Freund Zelter zuliebe. Das Leben in der Stadt kam ihm vor wie ein von dem großen König, den er bewunderte, gut gefertigtes
Uhrwerk
, das sein Programm abspielte und die Leute zu Püppchen degradierte, die von den
verborgenen Rädern
in Gang gehalten wurden. Er vermißte selbstbewußte Charaktere,
keine Zote und Eselei der Hanswurstiaden ist so ekelhaft als das Wesen der

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