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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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»Werther« im Stück nicht nur sich selbst verspottet, sondern auch wenig Dankbarkeit gegen seine empfindsamen Leser zeigt. Emilie von Berlepsch schrieb an Herder: »Sagen Sie mir doch etwas von dem seltsamen Stück, das Goethe wieder verfertigt hat! Vermutlich eine Satire auf die armen Mädchen und jungen Herrn, die er erst mit seinen Schriften schwindlig gemacht hat und nun obendrein noch auslacht. Ein wunderlicher Mensch! ... Er ist mir ganz zu wider mit seinem ewigen Schwanken zwischen Witz und Gefühl, Schwäche und Kraft. Und es wird mir immer schwerer, aus dem, was ich so von ihm weiß, mir einen deutlichen Begriff von ihm zu machen.«
    Goethes Spott über die Werthersche Empfindsamkeit konnte nur diejenigen überraschen, die den »Werther« nicht genau genug gelesen hatten. Denn Werther war im Roman ja vorgeführt worden als ein junger Mann, der zu viel einschlägige Literatur gelesen hatte und bei dem die Gefühle mehr aus der Lektüre als aus dem Leben stammen. Also nicht erst beim sentimentalen Prinzen im »Triumph der Empfindsamkeit«, auch schon bei dessen Vorbild »Werther« hört man bei den Gefühlsergüssen das Papier rascheln. Doch die enthusiastischen Werther-Leser hatten das kaum bemerkt. Im »Triumph der Empfindsamkeit« wird über diese Verwechselung von Literatur und Leben gespottet in einem Moment, da die noch nicht abgeklungene Werther-Mode wieder einmal eine todernste Wirkung hervorgebracht zu haben schien.
    Eine der Töchter des Obersten von Laßberg hatte sich am Abend des 16. Januar 1778 das Leben genommen. Sie hatte eine unglückliche Liebesaffäre und sprang von der Floßbrücke ins eiskalte Wasser der Ilm, wo sie ertrank. Es war die Brücke, die Goethe immer überquerte auf dem Weg vom Gartenhaus in die Stadt. Am anderen Tag, als Goethe mit dem Herzog auf dem Schwanseeteich Schlittschuh lief, fand man die Tote, schaffte sie ins nächste Haus – es war das der Frau von Stein – und rief sogleich nach Goethe. Warum gerade ihn? War es die Frau von Stein, die dies veranlaßte, oder Goethes Diener, der zu denen gehörte, welche die Tote fanden? Hing es mit dem Gerücht zusammen, das sogleich aufkam, Christel von Laßberg sei mit dem »Werther« in der Manteltasche ins Wasser gegangen? Jedenfalls war Goethe sofort zur Stelle und sprach am Abend bei den Laßbergs vor, um Trost und Beistand zu spenden. Am nächsten Tag machte er sich mit dem Hofgärtner daran, in der Nähe an einem stillen Platz eine kleine Gedenkstätte zu errichten, eine Grotte, in die eine Büste oder eine Urne gestellt werden konnte. Goethe selbst griff zu Spitzhacke und Schaufel.
Wir haben bis in die Nacht gearbeitet
, schrieb er an Charlotte von Stein,
zuletzt noch ich allein bis in ihre Todes Stunde, es war eben so ein Abend. Orion stand so schön am Himmel
〈...〉
Diese einladende Trauer hat was gefährlich anziehendes wie das Wasser selbst, und der Abglanz der Sterne des Himmels der aus beiden leuchtet lockt uns
.
    Ist Goethe hier so eifrig dabei, weil er eine gewisse Mitverantwortung empfindet? Oder geht von diesem Ereignis eine lockende Schwermut aus, wie der Brief andeutet? Er braucht einige Zeit, um das Gleichgewicht wieder zu finden. Im Tagebuch notiert er:
In stiller Trauer einige Tage beschäftigt
um die Szene des Tods, nachher wieder gezwungen zu theatralischem Leichtsinn
. Der nächste Eintrag bezieht sich dann schon wieder auf die Aufführung des »Triumphs der Empfindsamkeit«. Das sind jähe Stimmungswechsel: ein Anflug von Werther-Stimmung und der Spott darüber.
    Nach diesem Wechselbad der Gefühle kehrte eine eigentümliche Ruhe ein. Sie ist Goethe so bemerkenswert, daß er sie im Tagebuch in einer Ausführlichkeit verzeichnet, die dort selten ist:
Diese Woche viel auf dem Eis, in immer gleicher fast zu reiner Stimmung. Schöne Aufklärungen über mich selbst und unsre Wirtschaft, Stille und Vorahndung der Weisheit. Immer fortwährende Freude an Wirtschaft, Ersparnis, Auskommen. Schöne Ruhe in meinem Hauswesen gegen vorm Jahr. Bestimmteres Gefühl von Einschränkung, und dadurch der wahren Ausbreitung.
    Diese Ruhe, die er beim Rückzug ins Gartenhaus findet, wird Ende Februar gestört durch den Besuch Plessings, der inzwischen herausgefunden hat, wer ihm da unter dem Namen Weber vor zwei Monaten in Wernigerode gegenübergesessen hatte.
Ward mir’s nicht wohl mit ihm
, heißt es im Tagebuch.
    In diesen Wochen wird Goethe von den Wirkungen seines »Werther« wieder einmal eingeholt, zuerst das

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