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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Großen Mittlern und Kleinen durch einander. Ich habe die Götter gebeten daß sie mir meinen Mut und grad sein erhalten wollen bis ans Ende, und lieber mögen das Ende vorrücken als mich den letzten Teil des Ziels lausig hinkriechen lassen
.
    Bloß nicht zum Kriecher bei den Mächtigen werden – das war sein fester Vorsatz. Er gab sich zugeknöpft, stolz und unnahbar. Das war auf die Dauer anstrengend, weil er bemerken mußte, daß die
Blüte des Vertrauens der Offenheit, der hingebenden Liebe täglich mehr
hinwelkte. Er spürte eine Versteifung und hielt sie für Diplomatie. Es war schwieriges Gelände, in dem er sich zu bewegen und zu bewähren hatte, beispielsweise während eines Essens beim Prinzen Heinrich (der König war bereits nach Böhmen abgereist, wo die Kriegshandlungen beginnen sollten). Goethe und der Herzog hatten zu sondieren, was Preußen denn nun eigentlich in Bezug auf Weimar im Schilde führte, und sie mußten dabei mit eigenen Absichten, über die sie sich noch nicht schlüssig waren, hinterm Berg halten. So hüllte Goethe sich bei den offiziellen Anlässen in ein eisernes Schweigen, was die versierten und geschmeidigen Diplomaten unpassend fanden.
    Bei den Schriftstellern und Gelehrten in Berlin wiederum nahm man ihm übel, daß er sich gar nicht um sie gekümmert hatte. Die Nicolai, Ramler, Zöllner, Erman, Gedikes erwarteten mindestens einen Höflichkeitsbesuch. Nur bei Moses Mendelssohn sprach Goethe vor, aber so verspätet, daß jener sich weigerte, ihn zu empfangen. Auch in diesen Kreisen war man mit Goethe nicht zufrieden, er gebe sich zu »stolz«, hieß es.
    Am Ende seines Berlin-Besuches konstatiert Goethe eine eigentümliche Veränderung, von der nicht ganz klar ist, ob er sie bedauert oder als Gewinn an Weltläufigkeit bewertet:
Sonst war meine Seele wie eine Stadt mit geringen Mauern, die hinter sich eine Zitadelle auf dem Berge hat. Das Schloß bewacht ich, und die Stadt ließ ich in Frieden und Krieg wehrlos, nun fang ich auch an die zu befestigen, wär’s nur indes gegen die leichten Truppen.
Es war ihm jedenfalls bei diesem ersten und einzigen Besuch in Berlin sehr gut gelungen, die
leichten Truppen
der Literatur von sich abzuschrecken.
    Die stärkere Anteilnahme an den Regierungsgeschäften zwang Goethe, das Verhalten zu sich selbst und zu seiner Umwelt tiefgreifend zu verändern. Daß solches von ihm verlangt werden würde, war ihm im Spätherbst 1777 bereits aufgegangen, kurz bevor er seine Harzreise angetreten hatte: Vor dem an sich selbst gerichteten Appell Regieren!! hatte er notiert, er fühle sich
in viel Entfremdung bestimmt
. Um so wichtiger ist das Vertrauensverhältnis zum Herzog. Auf ihn kann er bauen, bei ihm fühlt er sich sicher, sonst aber ist die Diplomatie und die große Politik für ihn noch ein vermintes Gelände, wo er sich schlecht auskennt und wo die Ereignisse für ihn kaum beherrschbar sind; statt mit Intuition und Spontaneität mußte er mit Vorsicht und Mißtrauen agieren. Erstaunlich, wie geschickt er dabei dann doch zu Werke ging.
    Der bayerische Erbfolgestreit spitzte sich im Sommer 1778 zu. Preußen erklärte Österreich den Krieg und marschierte in Böhmen ein, und es trat ein, was man zuvor befürchtet hatte: Preußen forderte den Herzog auf, ihm Freiwillige zur Verfügung zu stellen, was bedeutete, entweder von sich aus Soldaten zu schicken, oder den preußischen Werbern im Herzogtum freie Hand zu lassen. Der Herzog sprach sich gegen die Werbung aus und versuchte, die Sache hinzuziehen. Man befand sich wirklich in einem Dilemma. Würde man freiwillig Soldaten stellen, verlöre man die Neutralität und würde ins preußische Kriegslager gegen Österreich gezogen. Verweigerte man sich dem Ansinnen Preußens, lief man Gefahr, die staatliche Integrität und Souveränität an Preußen zu verlieren. Ausgerechnet in dieser angespannten Situation übertrug der Herzog Anfang 1779 Goethe die Leitung der Kriegskommission und kurz danach auch die Wegebaudirektion, die neben der zivilen ja auch eine militärische Bedeutung hatte.
    Am 9. Februar 1779 verfaßte Goethe als Mitglied des Geheimen Consiliums eine Stellungnahme für den Herzog. Er skizzierte die Handlungsalternativen mit ihren möglichen Verzweigungen und ferneren Wirkungen, die allerdings, wie jedesmal, ins Unabsehbare auslaufen. Läßt man die preußischen Werber ins Land, werden sie nach einer gewissen Schonfrist und bei geäußertem Unwillen der Betroffenen schließlich Gewalt gebrauchen.

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