Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
Vom Netzwerk:
»man glaubte einen Apollo zu sehen. Noch nie erblickte man eine solche Vereinigung physischer und geistiger Vollkommenheit und Schönheit in einem Manne, als damals an Goethe«.
    Zwei Aufführungen gab es, dann zog Goethe das Stück zurück, ließ es nur einige Freunde lesen und achtete darauf, daß keine Abschriften gefertigt wurden. Es sei, schrieb er an Karl Theodor von Dalberg,
viel zu nachlässig geschrieben als daß es von dem gesellschaftlichen Theater sich sobald in die freire Welt wagen dürfte
. Zum Geburtstag der Herzogin 1781 wurde es noch einmal aufgeführt, mit geringerer Wirkung. Goethe feilte und besserte. Das Stück ließ ihn nicht los. Er dachte noch vor Antritt der Italienischen Reise eine Fassung in Jamben fertigstellen zu können, doch erst in Rom wurde er damit fertig. Doch was Handlung, Anlage und Gehalt des Stückes betrifft, hat es sich durch die Umarbeitung wenig verändert. Womöglich wollte Goethe etwas ganz anderes daraus machen. Doch die Macht dieses ersten Entwurfes war zu groß.
    Nur sechs Wochen hatte Goethe für diese erste Ausführung des Stückes benötigt, und es waren gerade diese unruhigen Wochen, in denen er wegen der Rekrutenaushebung im Lande herumzog. Zunächst suchte er sich mit zarter Gewalt in die nötige Stimmung zu versetzen. Er ließ Musiker kommen, die im Nebenzimmer spielten, während er schrieb.
Meine Seele löst sich nach und nach durch die lieblichen Töne aus den Banden der Protokolle und Akten. Ein Quatro neben in der grünen Stube, sitz ich und rufe die fernen Gestalten leise herüber. Eine Szene soll sich heut absondern denk ich
.
    Der geistige Raum, den er sich mit der »Iphigenie« eröffnete, lag den andrängenden Realitäten der unmittelbaren Gegenwart sehr fern. Aus Apolda schreibt er an Charlotte von Stein:
Hier will das Drama gar nicht fort, es ist verflucht, der König von Tauris soll reden als wenn kein Strumpfwirker in Apolde hungerte.
Dem Herzog schildert er zwei Tage später, wie es zugeht bei der Musterung, wenn die Burschen
gemessen und besichtigt werden
. Wenn dem Genüge getan ist, schreibt er weiter,
steig ich in meine alte Burg der Poesie und koche an meinem Töchterchen
〈Iphigenie〉.
Bei dieser Gelegenheit seh ich doch auch daß ich diese gute Gabe der himmlischen ein wenig zu kavalier behandle und ich habe wirklich
Zeit wieder häuslicher mit meinem Talent zu werden wenn ich je noch was hervorbringen will.
    Goethe ist selbst überrascht, wie gut er trotz widriger Umstände mit dem Stück vorankommt. Er spürt wieder seinen Genius, die
gute Gabe
. Er nimmt sich vor, sie künftig besser zu behandeln. Auch die Abschirmung gelingt offenbar.
Jetzt leb ich mit den Menschen dieser Welt, und esse und trinke spaße auch wohl mit ihnen, spüre sie aber kaum, denn mein inneres Leben geht unverrücklich seinen Gang
. Ganz inwendig spielen seine Gedanken
ein schön Konzert
.
    Und wirklich, ein schönes, für manche damals wie heute ein allzu schönes Konzert ist dieses Kammerspiel ohne laute Töne, mit nur sanften Dissonanzen und versöhnlichem Ausgang. Die archaische Welt des Grauens ist nur von Ferne zu spüren.
    Die mythologische Erzählung um Iphigenie auf Tauris, wie Goethe sie bei Aischylos und Euripides und bei den späteren Adaptionen von Ovid und Hyginus fand, ist grell und gewaltsam. Orest rächt den Tod seines Vaters Agamemnon an der Mutter Klytaimnestra, die zusammen mit ihrem Liebhaber Aigist den Gatten bei der Heimkehr aus Troja tötet. Nun wird der Muttermörder Orest von den Rachegöttinen, den Erinnyen, verfolgt. Um sich von dem Fluch zu befreien, soll er, nach Anweisung des Orakels, auf Tauris das heilige Bildnis der Artemis rauben und es nach Griechenland bringen. Was er nicht weiß: Die Hüterin dieses Heiligtums und also Artemis-Priesterin ist Iphigenie, seine Schwester. Artemis selbst hatte sie dorthin gerettet, als Agamemnon beim Aufbruch nach Troja die eigene Tochter opfern wollte, um von den Göttern günstige Winde für die Fahrt zu erlangen. Orest und sein Freund Pylades kommen also an im Lande der Taurier, das man sich irgendwo am Schwarzen Meer vorzustellen hat, ein Land der »Barbaren«. Hier werden gewöhnlich die anlandenden Fremden geschlachtet, ein Schicksal, das nun auch Orest und Pylades droht, und Iphigenie soll dabei, wie auch sonst, als Opferpriesterin fungieren. Euripides gewinnt den großen Effekt seines Stücks aus der Szene der Wiedererkennung der beiden Geschwister, und bei ihm ist es Iphigenie, welche die

Weitere Kostenlose Bücher