Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
schon zuvor intensiv beschäftigt. Er hatte sich einige Kupferstiche seiner Bauten besorgt und studiert. Nun konnte er vergleichen und war von der Wirklichkeit überwältigt. Es war wohl diesem Palladio-Erlebnis geschuldet, daß Goethe vom klassizistischen Kunstideal nicht mehr loskam. Die gotische Kunst, die ihn noch beim Straßburger Münster angezogen hatte, tritt in die ferne Nebelregion zurück und wird drei Jahrzehnte später in der endgültigen Version der »Italienischen Reise« ungnädig abgefertigt:
Das ist freilich etwas anderes, als unsere kauzenden, auf Kragsteinlein über einander geschichteten Heiligen der gotischen Zierweisen, etwas anders als unsere Tabakspfeifen-Säulen, spitze Türmlein und Blumenzacken, diese bin ich nun, Gott sei Dank, auf ewig los!
Auf der Fahrt entlang der Brenta sind es wieder die Bauten Palladios, die ihn beeindrucken. Und dann Venedig. Ihm ist feierlich zu Mute, als er die Stadt zum ersten Mal betritt. Er fühlt sich auch von einem gewissen Erwartungsdruck befreit.
So ist denn auch Gott sei Dank
Venedig
kein bloßes Wort mehr für mich, ein Name der mich so oft, der ich von jeher ein Todfeind von Wortschwällen gewesen bin, so oft geängstigt hat.
Auf Schritt und Tritt begegnet er Schönem, ob es nun Kirchen, Paläste, Gemälde sind, das pittoreske Leben auf den Straßen, die Gondeln und die Gesänge. Er fühlt sich davon schon fast bedrängt. So sucht er um anderer Eindrücke willen das Arsenal auf, wo gearbeitet wird, und notiert die folgende überraschende Bemerkung:
Auf dieser Reise hoff ich will ich mein Gemüt über die schönen Künste beruhigen, ihr heilig Bild mir recht in die Seele prägen und zum stillen Genuß bewahren. Dann aber mich zu den Handwerkern wenden, und wenn ich zurückkomme, Chymie und Mechanik studieren. Denn die Zeit des Schönen ist vorüber nur die Not und das strenge Bedürfnis erfordern unsre Tage.
Goethe ist offenbar noch nicht lange genug und noch nicht weit genug von Weimar entfernt. Noch hält ihn der dortige Kreis von Pflichten gefangen und das
strenge Bedürfnis
, das hinter den Amtsgeschäften steht, macht sich noch geltend. Vielleicht plagt ihn auch ein schlechtes Gewissen, denn immerhin bekommt er nicht nur sein Gehalt weiter ausbezahlt, er lädt auch den Amtskollegen zusätzliche Arbeit auf. Vielleicht ist er darum so streng gegen sich selbst und verbietet es sich, das Schöne einfach nur zu genießen. Auch der Umgang mit dem Schönen soll wie Arbeit aussehen. Deshalb beteuert er zu wiederholten Malen:
Ich
〈...〉
studiere mehr als daß ich genieße.
Tagelang irrt Goethe durch das Gewirre der Gassen und Kanäle und beobachtet das Volk in seinen Tätigkeiten und Lebensäußerungen. Es überkommt ihn ein großer Respekt, weil er sich klar macht, daß es nicht nur die einzelnen Künstler, die genialen Architekten, die Herrscher und Financiers waren, die dieses Wunderwerk einer Stadt errichteten.
Es ist ein großes, respektables Werk versammelter
Menschenkraft, ein herrliches Monument, nicht
Eines Befehlenden
sondern eines
Volks.
Es gefällt ihm auch, das Volk singen zu hören, nicht nur in den Kirchen, auch auf den Straßen. Man liebt hier das Öffentliche, schreibt er, die Menschen verstehen es, aus sich herauszugehen, wie sie ja auch überhaupt ihr Leben auf die Straße verlegen. Und:
Heut hat mich zum erstenmal ein feiler Schatz bei hellem Tage in einem Gäßchen beim Rialto angeredet.
Ob mit Erfolg, notiert er nicht.
Siebzehn Tage bleibt Goethe in Venedig.
Die erste Epoche meiner Reise ist vorbei, der Himmel segne die übrigen.
Der Weg führt weiter über Ferrara, Bologna, Florenz. Die Ungeduld, endlich Rom zu erreichen, wächst. Für Florenz nimmt er sich schon keine Zeit mehr. In drei Stunden durcheilt er die Stadt.
Ich habe keinen Genuß an nichts, bis jenes erste Bedürfnis gestillt ist.
Das erste Bedürfnis ist Rom. Viel zu langsam zieht sich die Reise hin durch die Täler des Apennins, auch wenn es hier schöne Ausblicke auf Landschaften gibt, die zum Verweilen einladen.
Ich will mich auch fassen und abwarten, hab ich mich diese 30 Jahre geduldet, werd ich doch noch 14 Tage überstehn.
Zu manchen Sehenswürdigkeiten gibt es nur die lakonische Notiz:
Auf der Rückkehr wollen wir’s näher ansehn
. Er eilt Rom entgegen und kann es nicht mehr erwarten.
Ich ziehe mich gar nicht mehr aus um früh gleich bei der Hand zu sein. Noch zwei Nächte! und wenn uns der Engel des Herrn nicht auf dem Wege schlägt; sind wir da.
Ein
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