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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Kunstwerken und Ruinen hatte er sich inzwischen satt gesehen, aber noch nicht am bunten Leben. Allerdings wollte er sich vor allzu romantischen Vorstellungen hüten und nahm sich Zeit und suchte Gelegenheiten, die Menschen und ihr andersartiges Leben richtig zu verstehen.
Man würde alsdann im Ganzen vielleicht bemerken, daß der sogenannte
Lazarone
nicht um ein Haar untätiger ist als alle übrige Klassen, zugleich aber auch wahrnehmen, daß alle in ihrer Art nicht arbeiten um bloß zu
leben,
sondern um zu
genießen
, und daß sie sogar bei der Arbeit des Lebens froh werden wollen.
    Diese lebensfrohe, dem Augenblick hingegebene Art ist ihm sehr sympathisch, auch wenn er vermutet, daß sie dem wirtschaftlichen Fortkommen nicht sonderlich günstig ist. In den
nordischen Ländern
ist man fleißiger, quält sich auch mehr, unfroher geht man dort seinen Geschäften nach, aber effektiver. Und doch: ist es nicht besser, wenn man
einen Scherz aus dem Geschäft
macht statt sich von ihm plagen zu lassen, nur um am Ende einen fragwürdigen Gewinn oder Vorteil daraus ziehen? Die Lebenslust duldet keinen Aufschub, denn wer sie erst am Ziel erwartet, wird sie unterwegs versäumen.
    In diesen Tagen erinnern ihn Freunde an den bisher unvollendeten »Wilhelm Meister« und drängen ihn zur Fortsetzung. Nach einigem Besinnen wird ihm klar:
unter diesem Himmel möchte sie wohl nicht möglich sein
. Warum? Ist Wilhelm etwa ein Meister aus dem Norden? Schlendert er andererseits nicht fast wie ein
Lazarone
durch sein Leben, geht bei Mädchen und Schauspielertruppen vor Anker, wie es ihm gefällt, ohne rechte bürgerliche Zielstrebigkeit? Ist Mignons Lied
Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn
nicht ein Hymnus auf den Süden? Das würde dafür sprechen, daß der Wilhelm der »Theatralischen Sendung« eigentlich ganz gut unter diesen Himmel paßt. Doch was Goethe zu diesem Zeitpunkt mit seiner Romanfigur vorhat, paßt stimmungsmäßig nicht so gut hierher. Er wollte ihn nämlich ernsthaft und tüchtig werden lassen, Mignon samt Anhang sollten verschwinden, und den Verlockungen des Südens sollte widerstanden werden. Hier in Neapel aber kommen ihm Zweifel an diesem Konzept und deshalb schreibt er in einem Brief aus Neapel,
vielleicht läßt sich von dieser Himmelsluft den letzten Büchern etwas mitteilen
.
    Am 3. Juni 1787 reist Goethe nach Rom ab. Zunächst beabsichtigte er, dort nur noch vier Wochen zu bleiben, seine Liste der Sehenswürdigkeiten abzuarbeiten und dann die Reise in den Norden anzutreten, um im Herbst wieder in Weimar zu sein. In diesem Sinne schreibt er kurz vor der Abreise nach Rom am 29. Mai 1787 an den Herzog. Dieser Brief ist von besonderer Bedeutung. Denn zum ersten Mal formuliert Goethe deutlich seine Wünsche und Vorstellungen in Bezug auf seine künftigen Aufgaben in Weimar. Johann Christoph Schmidt und Christian Gottlob Voigt, diese beiden Beamten, hätten sich doch, schreibt er, in ihren Ämtern aufs beste bewährt und seine, Goethes, Aufgaben zur Zufriedenheit miterledigt. Das könnte doch auch nach seiner Rückkehr so weitergehen. Von den bisherigen Pflichten
ohne Nachteil
für den Geschäftsgang befreit, werde er dem Herzog
mehr werden als ich oft bisher war, wenn Sie mich nur das tun lassen was niemand als ich tun kann und das übrige andern auftragen.
Und nun schildert er, wie er sich sein künftiges Leben an der Seite des Herzogs vorstellt, was er von jenem erwartet und was jener von ihm erwarten dürfe.
Schon sehe ich, was mir die Reise genützt, wie sie mich aufgeklärt und meine Existenz erheitert hat. Wie Sie mich bisher getragen haben, sorgen Sie ferner für mich und tun Sie mir mehr wohl, als ich selbst kann, als ich wünschen und verlangen darf. Geben Sie mich mir selbst, meinem Vaterlande, geben Sie mich Sich selbst wieder, daß ich ein neues Leben mit Ihnen anfange! Ich lege mein ganzes Schicksal zutraulich in Ihre Hände. Ich habe so ein großes und schönes Stück Welt gesehn, und das Resultat ist: daß ich nur mit Ihnen und in dem Ihrigen leben mag. Kann ich es, weniger von Detail überhäuft, zu dem ich nicht geboren bin; so kann ich zu Ihrer und zu vieler Menschen Freude leben
. Man merkt: Bescheidenheit ist nicht Goethes Sache.
Bescheiden sind nur die Lumpen
, sagte er einmal. Wenn man ihn läßt, wie er ist, kann er anderen zum Geschenk werden, dem Herzog, dem Vaterland und nicht zuletzt auch sich selbst.
    Sechs Wochen nach diesem Brief hat Goethe es sich anders überlegt. Er bittet

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