Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
seinem Verhältnis zur Welt.
Palermo und Umgebung wird ausgiebig durchwandert, Kunstwerke werden besehen, das rege Leben in den Straßen genossen, es wird in den üppigen Gärten nach der Urpflanze Ausschau gehalten. In den besseren Kreisen sprach sich Goethes Anwesenheit herum. Er wurde zum Vizekönig eingeladen, der ihn fragte, wieviel wirkliches Erleben im »Werther« enthalten sei. Vor solchen Fragen würde er lieber ans Meer flüchten, die Brandung hören und den Tang riechen;
die schwärzlichen Wellen am nördlichen Horizonte, ihr Anstreben an die Buchtkrümmungen, selbst der eigene Geruch des dünstenden Meeres, das alles rief mir die Insel der seligen Phäaken in die Sinne so wie ins Gedächtnis. Ich eilte sogleich einen Homer zu kaufen, jenen Gesang mit großer Erbauung zu lesen.
Goethe verfolgt die Idee einer Nausikaa-Tragödie. Die phäakische Königstochter soll sich für Odysseus entflammen und dann an ihrer unglücklichen Liebe zugrunde gehen. Im Rückblick schreibt er über diesen Plan:
Es war in dieser Komposition nichts was ich nicht aus eignen Erfahrungen nach der Natur hätte ausmalen können. Selbst auf der Reise, selbst in Gefahr Neigungen zu erregen, die, wenn sie auch kein tragisches Ende nehmen, doch schmerzlich genug, gefährlich und schädlich werden können; selbst in dem Falle
〈...〉
von der Jugend für einen Halbgott, von gesetztern Personen für einen Aufschneider gehalten zu werden, manche unverdiente Gunst, manches unerwartete Hindernis zu erfahren; das alles gab mir ein solches Attachement an diesen Plan, an diesen Vorsatz, daß ich darüber meinen Aufenthalt zu Palermo, ja den größten Teil meiner übrigen sicilianischen Reise verträumte.
In diesen vier Wochen auf Sizilien schrieb Goethe einiges dazu auf, zum Beispiel jene Worte, die Nausikaa an Odysseus richtet, Worte, die ihre Gefühle, die sie selbst noch nicht richtig kennt, enthüllen und auch schlimme Ahnungen andeuten:
Du bist nicht einer von den trüglichen / Wie viele fremde kommen die sich rühmen / Und glatte Worte sprechen
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/ Du bist ein Mann ein zuverläßger Mann / Sinn und Zusammenhang hat deine Rede schön
/ Wie eines Dichters Lied tönt sie dem Ohr / Und füllt das Herz und reißt es mit sich fort.
Die Nausikaa-Geschichte ist eingebettet in jene bezaubernde mediterrane Atmosphäre:
Ein weißer Glanz ruht über Land und Meer / Und duftend schwebt der Äther ohne Wolken
. Später konnte Goethe die Stimmung dieser von Sonne überfluteten und in Hitze flirrenden Tage nicht mehr so wachrufen, wie es für die Nausikaa-Geschichte notwendig gewesen wäre, und so blieb die Sache liegen.
In Palermo hört Goethe davon, daß der europaweit bekannte und jüngst auch in die französische ›Halsbandaffäre‹ verwickelte Hochstapler Cagliostro ein aus Palermo stammender,
wegen
mancherlei schlechter Streiche
auch hier berüchtigter Mann namens Giuseppe Balsamo sei. Goethe, der vor einigen Jahren mit dem leichtgläubigen Lavater über Cagliostro in Streit geraten und von der Halsbandaffäre als Symptom des Gesellschaftsverfalls aufgeschreckt worden war, fühlte sich von der Nachricht, die Gegend seiner homerischen Träume sei auch die Heimat des Hochstaplers, wie elektrisiert. Mit einem ortskundigen Advokaten suchte er die Familie dieses Giuseppe Balsamo auf und fand zu seiner Überraschung arme doch ehrbare und reinliche Leute, denen gegenüber er ein schlechtes Gewissen bekam, weil er sich mit einer falschen Geschichte bei ihnen eingeschlichen hatte. Später ließ er von Weimar aus der Familie anonym einen größeren Geldbetrag zukommen, um sein schlechtes Gewissen zu besänftigen.
Kreuz und quer erkundeten Goethe und Kniep die Insel, sie besuchten Agrigent, Catania, Taormina und auch das einige Jahre zuvor durch ein Erdbeben zerstörte Messina. Der
wüste Anblick
war so deprimierend, daß man beschloß, die nächste sich bietende Gelegenheit für die Rückfahrt nach Neapel zu nutzen. Es war der 11. Mai 1787, als die beiden auf einem französischen Handelsschiff die Überfahrt antraten. Eine schlimme Fahrt, die vier Tage dauerte. Fast wäre man an den Felsen vor Capri zerschellt. Goethe erzählt mit einigem Stolz, wie er die Passagiere und die Besatzung, die in Panik geraten waren, wieder zu Besonnenheit und Zuversicht gebracht habe durch sein Reden. Indem er den anderen die Angst nahm, überwandt er sie auch bei sich selbst.
Am 14. Mai 1787 ging man in Neapel an Land. Noch drei Wochen blieb Goethe dort. An den
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