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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Wahrheit« die berühmte Reflexion über das
Dämonische
an, dessen Bedeutung im modernen Sprachgebrauch ungefähr dem Charismatischen entspricht. Welche Begriffe man auch verwendet, es bleibt etwas Rätselhaftes an diesem Magnetismus der Lebensmacht, die von solchen Personen ausströmt, im Guten oder auch im Bösen. Von diesen dämonischen oder charismatischen Menschen, schreibt Goethe, gehe
eine ungeheure Kraft
aus,
und
sie üben eine unglaubliche Gewalt über alle Geschöpfe
.
    Egmont hat diese Ausstrahlung, doch er ist zu liebenswürdig, um sie mit Berechnung einzusetzen. Er lebt sie aus. Anziehend oder gar überwältigend ist nicht so sehr, was er tut, sondern was er ist. Egmont ist nicht nur der Liebling der Frauen, ganz besonders von Klärchen, er ist auch sonst beliebt im Volke. Die Niederländer in ihrem Befreiungskampf gegen Spanien haben ihn zu ihrem Freiheitshelden erkoren. In Goethes Darstellung ist er eigentlich kein politischer Mensch, vielmehr gerät er in die Politik und kommt am Ende darin um. Der Herzog Alba rückt an. Wilhelm von Oranien, der Politiker, durchschaut die Pläne Spaniens, die auf die Beseitigung der unzuverlässigen niederländischen Aristokratie hinauslaufen. Oranien warnt Egmont und fordert ihn auf, sich, so wie er, in Sicherheit zu bringen, um eine günstigere Gelegenheit für den Widerstand abzuwarten. Doch Egmont schlägt die Warnung in den Wind: Er vertraut dem König, seinem Volk und vor allem vertraut er sich selbst. Er verachtet Schleichwege, Intrigen und Kalkül. Und darum geht er in die Falle, die ihm Alba stellt. Das geschieht im vierten Akt, dem Höhepunkt des Dramas. Hier zeigt sich Alba als eine ebenfalls grandiose Gestalt, kalt, berechnend, rational. Alba verkörpert die Dämonie des Politischen. Von ihm geht eine andere Art von Macht aus. Bei Egmont entspringt sie aus der Persönlichkeit, Alba indes verkörpert ein Machtsystem; er verkörpert es wirklich, und das ist mehr, als wenn er es nur repräsentierte. Es sind die Antipoden der Macht, der persönlichen und der überpersönlichen.
    Goethe hat sich mit diesem vierten Akt des Dramas, bei der Gegenüberstellung der beiden, sehr schwer getan. Hier blieb er in all den Jahren, in denen er daran schrieb, immer wieder hängen, beispielsweise Ende 1781, als er an Charlotte schrieb:
Mein Egmont ist bald fertig und wenn der fatale vierte Akt nicht wäre den ich hasse und notwendig umschreiben muß, würde ich mit diesem Jahr auch dieses lang vertrödelte Stück beschließen.
Im Sommer 1787 in Rom war es endlich so weit. Am 1. August ist der vierte Akt fertig. Damit war die größte Schwierigkeit bewältigt. Worin aber bestand diese Schwierigkeit denn nun eigentlich?
    Goethe wollte es sich nicht zu leicht machen, indem er Alba auf die Rolle des politischen Bösewichts reduzierte. Im Gegenteil, Alba sollte die Sphäre des staatlich-politischen Lebens auf durchaus würdige und in sich notwendige, wenn auch, von Egmont her gesehen, erschreckende Weise zur Geltung bringen. Das glaubte Goethe seiner eigenen Lebensstellung in Weimar schuldig zu sein. Seine Amtstätigkeit war zwar gänzlich undämonisch, und zumeist ging es dabei auch nicht um Leib und Leben, aber daß in der staatlich-politischen Sphäre eine andere Logik herrscht als im Privaten und Poetischen, das konnte Goethe auf Schritt und Tritt erfahren, und es mußte lebenspraktisch bewältigt werden. Der poetische Sinn schätzt beispielsweise das Lebendige in seiner Einmaligkeit und nähert sich ihm individuell; im staatlich-politischen Raum aber gelten allgemeine Regeln, und das Einzelne muß vom Generellen her gesehen und behandelt werden. Das Poetische ist das Anarchische, es duldet keine Herrschaft über sich, noch nicht einmal die der Moral; Politik dagegen ist Ordnungsstiftung und Herrschaft. Vor allem aber ist die staatlich-politische Sphäre durchherrscht vom Geist der Sorge. Dafür ist sie ja da, um Sorge zu tragen für die Sicherheit und das Wohlergehen des Gemeinwesens im gefährlichen Getümmel der Zeit. Deshalb hoffte Goethe, als er nach Italien floh, seine Lage werde glücklich sein, wenn er diese Sorgen eine Weile lang endlich los wäre,
wenn ich das
, wie er an Charlotte schreibt,
was ich solang für meine Pflicht gehalten, aus meinem Gemüte verbanne und mich recht überzeuge: daß der Mensch das Gute das ihm widerfährt, wie einen glücklichen Raub dahinnehmen und sich weder um Rechts noch Links, vielweniger um das Glück und Unglück eines
Ganzen

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