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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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nach Neapel. In klaren Nächten sieht man von den Hügeln Roms aus die Feuergarben des Vesuv, ein allzu verlockender Anblick. Goethe wartete das Ende des Römischen Karneval noch ab und brach dann zusammen mit Tischbein auf.
    Neapel ist auf andere Art überwältigend. In Rom war es die Kunst, hier ist es Natur und das als pittoresk empfundene Volksleben, was ihn verzaubert.
Wie in Rom alles höchst ernsthaft ist, so treibt sich hier alles lustig und wohlgemut
. Die Lebenslust, wie er sie hier empfindet, wirkt ansteckend.
Ich verzieh es allen die in Neapel von Sinnen kommen und erinnerte mich mit Rührung meines Vaters, der einen unauslöschlichen Eindruck besonders von denen Gegenständen die ich heut zum erstenmal sah erhalten hatte
. Diese
Gegenstände
waren der Anblick der Bucht, die Ufer, der Vesuv, die Gartenanlagen, der Hafen, das Gewimmel der Stadt, das Kastell, die Bergrücken des Pausilipp, die Grotten. Man könne nie ganz unglücklich werden, schreibt er, wenn man Neapel einmal gesehen habe, weil man sich dann immer wieder nach dorthin zurückdenken könne.
Ich bin nun nach meiner Art ganz stille und mache nur, wenn’s gar zu toll wird, große, große Augen.
Er ist immer auf den Beinen, erkundet die naturhistorisch reiche Umgebung, klopft an Felsen, um ihr vulkanisches Gestein zu untersuchen, besteigt den Ätna, blickt oben in den brodelnden Abgrund, geht über heißen Boden, das Schuhwerk wird angeschmort; im botanischen Garten kommt ihm die Idee der Urpflanze, er sieht sie nicht wirklich, doch glaubt er, sie müsse unter dieser wuchernden Fülle von Pflanzen irgendwo zu finden sein. Am Ufer sammelt er vertrocknetes Seegetier, Muscheln und Steine.
    Anders als in Rom, wo er hauptsächlich in der Künstlerkolonie, sonst aber zurückgezogen lebte, ließ er sich in Neapel in die bessere Gesellschaft ziehen. Bei dem englischen Gesandten William Hamilton, berühmt als Kunst- und Antiquitätensammler, ging er aus und ein, besonders der schönen Emma Harte wegen, der späteren Lady Hamilton. Sie war berühmt für ihre Arrangements von lebenden Bildern, an denen sie selbst teilnahm, zumeist nur leicht bekleidet. Diese Mode, mit der Anordnung von Menschengruppen Bilder zu inszenieren, wird von hier aus in den nächsten Jahrzehnten Europa erobern. Auch in anderen vornehmen Häusern verkehrte Goethe. In Rom war ihm Tischbein ein Türöffner, in Neapel war es Philipp Hackert, der hier als Maler eine glänzende Stellung innehatte und Gott und die Welt kannte. Er arbeitete für das Königshaus und machte Goethe mit der geistigen und künstlerischen Elite in Neapel bekannt. Goethe achtete nun kaum noch auf sein Inkognito. Es war zuletzt auch in Rom nicht durchzuhalten gewesen. Man hatte sogar am Wiener Hof von Goethes Anwesenheit in Rom gehört und eine diplomatische Geheimmission dahinter vermutet. Ein Spitzel hatte sich sogar an Tischbein herangemacht, um ihn auszuhorchen.
    Ob unter falschem, ob unter dem richtigen Namen – in Neapel gab sich Goethe frei und unbeschwert und genoß es:
Neapel ist ein Paradies, jedermann lebt in einer Art von trunkner Selbstvergessenheit. Mir geht es eben so, ich erkenne mich kaum, ich scheine mir ein ganz anderer Mensch. Gestern dacht’ ich: entweder du warst sonst toll, oder du bist es jetzt.
    Bis zuletzt war Goethe unschlüssig, ob er nach Sizilien übersetzen solle. Damals bedeutete das eine längere, nicht ungefährliche Seereise.
Der Zweifel ob ich reisen oder bleiben sollte, machte einen Teil meines hiesigen Aufenthaltes unruhig, nun da ich entschlossen bin geht es besser. Für meine Sinnesart ist diese Reise heilsam, ja notwendig. Sicilien deutet mir nach Asien und Afrika und auf dem wundersamen Punkte, wohin so viele Radien der Weltgeschichte gerichtet sind, selbst zu stehen ist keine Kleinigkeit.
    Bis Neapel war Goethe noch auf den Spuren seines Vaters gereist. Nach Sizilien aber war der Vater nicht gekommen; der Sohn würde also den Vater überbieten können. Das ist ein starkes Motiv. Am 28. März 1787 trat Goethe zusammen mit seinem Begleiter, dem Maler Christoph Heinrich Kniep, die Überfahrt nach Palermo an. Unterwegs wurde er seekrank und fühlte sich doch dazu aufgelegt, in seiner Kajüte am »Tasso« zu arbeiten. Es ist das einzige Manuskript, das er für diese Reise mitgenommen hatte. Er fühlte sich wie im
Wallfischbauch
. Es war dies seine erste größere Seereise.
Hat man sich nicht ringsum vom Meere umgeben gesehen, so hat man keinen Begriff von Welt und von

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