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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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den Herzog bis Ostern 1788 in Rom bleiben zu dürfen. Auch seine künftige Tätigkeit stellt er sich jetzt anders vor. Er würde nach der Rückkehr gerne das weimarische Land bereisen wie ein Fremder, dem alles neu ist und der sich erst einen Begriff davon machen muß. Er wolle sich auf diese Weise
zu jeder Art von Dienst gleichsam aufs neue qualifizieren
〈...〉
Sekundiert der Himmel meine Wünsche; so will ich mich alsdann des Landes Administration einige Zeit ausschließlich widmen, wie jetzt den Künsten, ich habe lange getappt und versucht, es ist Zeit zu ergreifen und zu wirken.
    Nachdem der Herzog ihm die Verlängerung des bezahlten Urlaubs gewährt hatte, kam er auf diesen Vorschlag, sich wieder ganz der Administration widmen zu wollen, nicht mehr zurück. Er hatte ja bekommen, was er wollte. Statt dessen betont er nun seine intensiv betriebenen praktischen Kunstbemühungen.
Es ist eine ernsthafte Sache um die Kunst, wenn man es ein wenig streng nimmt
〈...〉
Diesen Winter hab ich noch wacker zu tun, es soll kein Tag ja keine Stunde
versäumt werden
. Und tatsächlich geht er bei seinem zweiten Romaufenthalt geradezu systematisch vor. Er nimmt eine Reihe von Künstlern in Anspruch, die ihn das perspektivische Malen und Zeichnen lehren sollen, die Farbgebung, die Bildaufteilung. Er studiert die Anatomie. Der menschliche Körper ist ihm jetzt das größte Kunstwerk. Je mehr er sich in die praktischen Kunstübungen vertieft, desto deutlicher wird ihm aber auch, daß er nicht zum Maler geschaffen ist. Er erkennt seine Grenzen in diesem Metier, doch er weiß nun auch, daß seine praktischen Versuche, auch wenn sie bloß nachahmender Natur sind, zu einem besseren Verständnis und zu einem
lebendigen Begriff
der Kunst verhelfen. Wenn aber Goethe dem Herzog am Ende seines Romaufenthaltes schreibt, er habe sich
selbst wiedergefunden; aber als was? – Als Künstler!
, dann meint er jedenfalls nicht den Maler, sondern den Dichter.
    Als Dichter konnte sich Goethe im Spätsommer 1787 in Rom auf einem Höhepunkt seiner neu belebten Schaffenskraft fühlen, denn Anfang September war er mit dem »Egmont« fertig geworden.
Es war eine unsäglich schwere Aufgabe, die ich ohne eine ungemessene Freiheit des Lebens und des Gemüts nie zu Stande gebracht hätte. Man denke, was das sagen will: ein Werk vornehmen, was zwölf Jahre früher geschrieben ist, es vollenden ohne es umzuschreiben.
    An dem Stück hatte er im Herbst 1775, in den Wochen vor der Umsiedlung nach Weimar geschrieben, weshalb denn auch das letzte Buch von »Dichtung und Wahrheit«, worin das Ende der Frankfurter Zeit und der Aufbruch nach Weimar geschildert wird, mit den kühnen und schicksalsgläubigen Worten Egmonts abschließt:
Wie von
unsichtbaren Geistern gepeitscht gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals leichtem Wagen durch, und uns bleibt nichts als mutig gefaßt die Zügel zu erhalten, und bald rechts, bald links vom Steine hier, vom Sturze da die Räder wegzulenken. Wohin es geht, wer weiß es? Erinnert er sich kaum woher er kam.
    Diese Worte Egmonts am Ende der Autobiographie deuten die starke Identifikation des Autors mit seiner Figur an. Das Stück war so lange liegen geblieben, und Goethe hatte bis dahin zahlreiche vergebliche Anläufe unternommen, es abzuschließen, nicht etwa weil es ihm in der Zwischenzeit fremd geworden wäre, sondern weil es ihm allzu nahe blieb. Einmal nannte er es Charlotte gegenüber ein
wunderbares Stück
. Fast zu gut erkannte er sich in seinen wilden Jahren darin.
Ich will nur das allzuaufgeknöpfte, Studentenhafte der Manier zu tilgen suchen.
    Egmont ist ein Mensch mit Lebenskraft und Lebenslust, spontan und hingebungsvoll, genießerisch, frei und gelassen, unbekümmert, freundlich und energisch. Ein Mensch, der es versteht zu leben und leben zu lassen. Er habe ihm, schreibt Goethe in »Dichtung und Wahrheit«,
die ungemeßne Lebenslust
gegeben,
das grenzenlose Zutrauen zu sich selbst, die Gabe alle Menschen an sich zu ziehn (attrativa) und so die Gunst des Volks, die stille Neigung einer Fürstin, die ausgesprochene eines Naturmädchens, die Teilnahme eines Staatsklugen zu gewinnen; ja selbst den Sohn seines größten Widersachers für sich einzunehmen.
    Diese
attrativa
, das wußte Goethe, besaß er auch selbst, und er verlieh sie Egmont, seinem Liebling, in einem so vergrößertem Maßstab, daß sie an das
Dämonische
rührt. Unmittelbar an die zitierten Sätze über Egmont schließt in »Dichtung und

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