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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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haben, Goethe nehme sich »vor jeder Äußerung in acht, daraus man Schlüsse machen könnte«.
    Es kam noch etwas anderes hinzu. Wieder ist es die scharfsichtige Karoline Herder, die es bemerkte: »Es ist nur schlimm, daß er immer seinen Panzer anhat. Manchmal blicke ich doch durch!« Was sie dabei entdeckt zu haben glaubt, deutet sie wenig später gegenüber ihrem in Italien weilenden Mann an: »Über Goethe habe ich wirklich einen großen Aufschluß bekommen. Er lebt eben wie der Dichter mit dem Ganzen oder das Ganze in ihm 〈...〉 Er fühlt sich als ein höheres Wesen 〈...〉 Seitdem ich weiß, was ein Dichter und Künstler ist, seitdem verlange ich kein engeres Verhältnis«.
    Sie könnte auf der richtigen Spur gewesen sein. Denn Goethe selbst hat, im Rückblick, dieses
Zurückziehen ins Innere
, das ihn nach außen schroff erscheinen ließ, in Verbindung gebracht mit dem gewachsenen künstlerischen Selbstgefühl.
In Italien
, schreibt er in der »Campagne in Frankreich«,
fühlt’ ich mich nach und nach kleinlichen Vorstellungen entrissen, falschen Wünschen enthoben und an die Stelle der Sehnsucht nach dem Land der Künste setzte sich die Sehnsucht nach der Kunst selbst; ich war sie gewahr geworden, nun wünscht’ ich sie zu durchdringen.
〈...〉
indem sie unser Inneres mit großen Gegenständen und Gesinnungen füllt, bemächtigt sie sich aller Wünsche die nach außen strebten,
〈...〉
das Bedürfnis der Mitteilung wird immer geringer.
    Er behauptet also im Rückblick, die neu entfachte Hingabe an die Kunst habe ihn verschlossen, abweisend und vor allem stumm gemacht, entsprechend dem Grundsatz: Bilde Künstler, rede nicht! In den ersten Monaten nach der Rückkehr aus Italien war es vor allem »Tasso«, den er endlich zum Abschluß bringen wollte. Solange sollte, so die Verabredung mit dem Herzog, die Entlastung von den Dienstgeschäften noch dauern. Für diese Arbeit war im Winter 1788/89 der mehrwöchige Besuch von Karl Philipp Moritz von großer Bedeutung. Soeben war dessen Schrift »Über die bildende Nachahmung des Schönen« erschienen, welche Moritz in Rom zusammen mit Goethe entwickelt hatte. Für Goethe gehörte sie so sehr zu seiner inneren Wandlung in Italien, daß er den Text später sogar auszugsweise in der »Italienischen Reise« veröffentlichte. Er nannte diese Schrift
das eigentliche Resultat unseres Umgangs
und betonte den
Anteil desselben an meinem Tasso
.
    Die Schrift von Moritz entwickelte mit Entschiedenheit und Stringenz das Programm der Autonomie der Kunst. Die Pointe des Gedankens liegt dabei in der Anwendung des Spinozismus auf die Kunst. Das Ganze ist Gott, hatte Spinoza erklärt. Die Natur oder die Welt als Ganzes kann deshalb nicht auf einen jenseitigen Zweck bezogen werden, sie hat keinen Nutzen für irgend etwas, das außerhalb ihrer läge. Aller Sinn ist in ihr enthalten, nicht außer ihr. Nach dem Vorbild des spinozistischen Begriffs vom Weltganzen bildet Moritz nun den Begriff der Kunst als einer in sich geschlossenen Ganzheit im Kleinen, welche wie das große Ganze dadurch definiert ist, daß sie nicht dienstbar, nicht nützlich, nicht auf einen Zweck bezogen ist. Sie ist ein reicher, aber in sich geschlossener Sinnzusammenhang, der sich nur dem erschließt, der nichts anderes außerhalb davon, sondern alles nur darin sucht, sei es als Hervorbringender oder als Aufnehmender. Dem Künstler kann ein Werk nur gelingen, wenn der Schwerpunkt seiner Tätigkeit ganz in dem zu schaffenden Werk liegt, ohne äußere Rücksichtnahme. Will er sich gefällig oder verkäuflich machen, politischen Ansprüchen oder der gewöhnlichen Moral genügen, wird er aus dem Mittelpunkt seines Schaffens herausgerissen und verliert den schöpferischen Ursprung. Etwas Analoges gilt für den Rezipienten der Kunst. Ihn wird das Kunstwerk nur ansprechen, wenn es wirklich nur das Kunstwerk ist, und nicht äußere Rücksichtnahmen und Interessen, von denen er sich ansprechen läßt. Kant wird diese erhabene Selbstbezüglichkeit und Nutzlosigkeit der Kunst, an Moritz anknüpfend, das interesselose Wohlgefallen an ihr nennen.
    Die Gedanken zur Autonomie der Kunst gewannen nach der Rückkehr aus Italien eine große Bedeutung für Goethe. Ließ sich so das künstlerische Leben von Rom in prosaische Verhältnisse hinüberretten? Es geht also um die lebenspraktische Bedeutsamkeit des Autonomieanspruchs der Kunst. Vor der Reise nach Italien galt die Lebenskunst der Doppelexistenz als Künstler und

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