Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Bürgergeneral Schnaps hatte sich als Hochstapler wirklich kostümiert. Die Aufgeregten werfen sich ideologisch und rhetorisch ein Kostüm über. Der hochstaplerische Effekt aber ist derselbe. Am Ende sorgen wieder, wie im »Bürgergeneral«, die vernünftigen Edelleute für Ordnung und Gerechtigkeit. Die draufgängerische junge Gräfin fordert mit der Waffe einem betrügerischen Amtmann ein Dokument ab, das die Bauern mit ihren Forderungen ins Recht setzt. Die Mutter der energischen jungen Gräfin verkörpert Weisheit und Tugend. Ihr legt Goethe sein
politisches Glaubensbekenntnis
in den Mund:
Seitdem ich aber bemerkt habe, wie sich Unbilligkeit von Geschlecht zu Geschlecht so leicht aufhäuft, wie großmütige Handlungen meistenteils nur persönlich sind und der Eigennutz allein gleichsam erblich wird; seitdem ich mit Augen gesehen habe, daß die menschliche Natur auf einen unglücklichen Grad gedrückt und erniedrigt, aber nicht unterdrückt und vernichtet werden kann: so habe ich mir fest vorgenommen jede einzelne Handlung die mir unbillig scheint, selbst streng zu vermeiden, und unter den Meinigen, in Gesellschaft, bei Hofe, in der Stadt, über solche Handlungen meine Meinung laut zu sagen. Zu keiner Ungerechtigkeit will ich mehr schweigen, keine Kleinheit unter einem großen Scheine ertragen und wenn ich auch unter dem verhaßten Namen einer Demokratin verschrien werden sollte.
Zu Goethes
politischem Glaubensbekenntnis
gehört wohl auch die Erwiderung des bürgerlichen Hofrates. Die Gräfin habe recht gesprochen, sagt er, und habe damit den Grundsatz bewährt:
Ein Jeder kann nur seinen eignen Stand beurteilen und tadeln
. Jede Kritik nach oben oder nach unten sei durch
Nebenbegriffe
verunreinigt, etwa Neid nach oben und Geringschätzung nach unten. Jeder kehre vor seiner Tür – das soll auch für den Umgang der gesellschaftlichen Stände miteinander gelten. Unerwähnt bleibt, daß Druck von unten nötig war, um die löblichen Einsichten der Gräfin zu veranlassen. Indirekt gibt sie es zu:
Ich habe es sonst leichter genommen, wenn man Unrecht hatte und im Besitz war
.
Goethe legte das Stück bald beiseite, ohne es abzuschließen. Wenn er darin auch einige seiner politischen Überzeugungen formuliert hatte und es ihm schon allein deshalb wichtig war, so merkte er doch, daß der eher komödiantische Kammerton nicht recht paßte zu den ungeheuerlichen Ereignissen in Frankreich: die Septembermorde, die Inhaftierung der Königsfamilie und ihre Hinrichtung, die blutigen Aufstände in der Provinz, die Massaker und schließlich der Beginn des Jakobinerterrors. Ein solches Stück paßte denn doch eher zu den Studentenunruhen in Jena, mit ihren Schlägereien auf dem Marktplatz, Rangeleien mit Soldaten, Steinwürfen, nächtlichem Gejohle und einem demonstrativen Auszug der Studenten aus der Stadt. Da die Studenten für die Stadt eine wichtige Einnahmequelle waren, reichten diese Unruhen aus, um das Geheime Consilium über Tage pausenlos zu beschäftigen. Auch Goethe nahm diesmal seinen Ratsstuhl ein.
Noch einmal rief ihn der Herzog ins Feld, wieder als Schlachtenbegleiter. Goethe nahm von Mai bis August 1793 an der Belagerung und Eroberung von Mainz durch die alliierten Truppen teil. Die Mainzer Freunde der Revolution, unter ihnen Georg Forster, den Goethe noch im Jahr zuvor besucht hatte, hatten unter dem Schutz der französischen Truppen eine Republik ausgerufen. Dem sollte ein Ende gemacht, diese Unbotmäßigkeit sollte bestraft werden. Es kam zu schlimmen Szenen, von beiden Seiten. Die Franzosen trieben Nichtkombattanten – Alte, Frauen und Kinder – aus der Stadt. Die Belagerer überließen,
ebenso grausam
vermerkt Goethe, die hilflosen Zivilisten ihrem Schicksal, ohne Verpflegung, ohne Unterkunft. Drei Wochen lang wurde die Stadt, meist nachts, mit Sprengkörpern und Brandbomben beschossen. An allen Ecken und Enden brannte es. An den schönen Sommertagen lag dunkler Qualm über der Stadt. Aus der Umgebung kamen Leute, um das Kriegsschauspiel zu besehen. An einem schönen Sonntagmorgen vermischte sich der Kanonendonner mit zarteren Tönen: Oboisten spielten einer Offiziersgesellschaft auf. Goethe und der Herzog waren auch zugegen. Goethe an Jacobi:
Bei uns geht es von der einen Seite lustig von der andern traurig zu, wir stellen eine wahre Haupt und Staatsaktion vor, worin ich
Jaques
(s. Schäckesp. wie es euch gefällt oder die Freundinnen) nach meiner Art und Weise repräsentiere. Im Vordergrunde hübsche
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