Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Weiber und Weinkrüge und hinten Flammen, grade wie Loth mit seinen Töchtern vorgestellt wird.
Die Stadt hatte Schlimmes zu erdulden. Dabei waren es nicht einmal die siegreichen Truppen, die sich besonders grausam aufführten. Schlimmer noch war die Pogromstimmung in der Bevölkerung gegen die Revolutionäre. Zunächst fand es Goethe ganz in Ordnung, daß man den französischen Soldaten, nicht aber den ›Clubbisten‹ freies Geleit zugestanden hatte. Sie sollten von denen, die unter ihnen gelitten hatten, zur Verantwortung gezogen werden können.
Das Unheil das diese Menschen angestiftet haben ist groß
, schreibt er an Jacobi. Als dann aber in der wütenden Menge Pogromstimmung um sich greift, versucht Goethe beruhigend einzuwirken, so seine spätere Schilderung. Vielleicht war er damals doch nicht so besonnen und souverän. Die Briefe von damals sprechen jedenfalls eine andere Sprache. Was er da erleben mußte, ging ihm so nahe, daß es ihn fast lähmte.
Mich wandelt in meiner jetzigen Lage eine Art Stupor an und ich finde den trivialen Ausdruck
der Verstand steht mir still,
trefflich um die Lage meines Geistes auszudrucken
.
Gegen diesen Stupor half ihm die Arbeit am »Reineke Fuchs«, die Übersetzung und Umdichtung des mittelalterlichen Tierepos, worin die Grausamkeiten der Menschen im Tierreich gespiegelt werden. Als es in der wirklichen Geschichte immer
blutiger und blutdürstiger
zuging, half ihm die
halb verzweifelnde
Hingabe an die
unvermeidliche Wirklichkeit
der Grausamkeit, Falschheit und Bosheit, die er im »Reineke Fuchs« so eindrucksvoll dargestellt fand.
In der »Campagne« schreibt Goethe über die Stimmung jener Tage:
Aber auch aus diesem gräßlichen Unheil suchte ich mich zu retten, indem ich die ganze Welt für nichtswürdig erklärte.
Anmerkungen
Einundzwanzigstes Kapitel
Goethe zieht seinen Kreis um sich. Liebe, Freundschaft, Wissenschaft
und Kunst halten das Leben in Form. Fichte in Jena. Goethe nähert sich
der Philosophie. Der starke Anfang der Freundschaft mit Schiller:
das »glückliche Ereignis«. Der erste »Ideenwechsel«.
Kurz vor der Rückkehr, in Vorfreude auf Weimar, wo man den Turbulenzen der Geschichte für einige Zeit zu entkommen hofft, schreibt Goethe an Jacobi:
Mein herumschweifendes Leben und die politische Stimmung aller Menschen treibt mich nach Hause, wo ich einen Kreis um mich ziehen kann, in welchem außer Lieb und Freundschaft, Kunst und Wissenschaft nichts herein kann.
Liebe, Freundschaft, Kunst und Wissenschaft sollen also seinem Leben Wert geben. Was die Liebe betrifft, so machte ihn das häusliche Verhältnis mit Christiane glücklich. In einer Sammlung von Distichen aus dieser Zeit, die unter dem Titel »Einer« an Christiane adressiert sind, heißt es:
Kennst du den herrlichen Gift der unbefriedigten Liebe? / Er versengt und erquickt, zehret am Mark und erneut’s. / Kennst du die herrliche Wirkung der endlich befriedigten Liebe? / Körper verbindet sie schön, wenn sie die Geister befreit.
Goethe fühlte sich von Christiane umsorgt, doch nicht beengt. Er war stolz auf seine kleine Familie, und konnte doch weiterhin wie ein Junggeselle leben; häuslich gebunden und geistig frei. Ein Liebesverhältnis, das zur schönen Gewohnheit geworden war.
Schwer zu besiegen ist schon die Neigung, gesellet sich aber / Gar die Gewohnheit zu ihr, unüberwindlich ist sie.
Es war auch nicht mehr nötig, die kleine Familie zu verstecken. Man war aus dem Jägerhaus vor dem Stadttor wieder ins repräsentativ umgebaute Haus am zentral gelegenen Frauenplan gezogen, das der Herzog im Sommer 1794 seinem Freund zum Geschenk machte, aus Dankbarkeit für die Begleitung bei den Feldzügen. Am 21. November 1793 brachte Christiane, nach einer Totgeburt zwei Jahre zuvor, ihr drittes Kind zur Welt, Karoline. »Goethe hat nun auch ein Töchterlein, seit ein paar Tagen«, berichtete Charlotte von Stein ihrem Sohn Fritz. »Er hat eine entsetzliche Freude darüber, denn er ist freundlich wie ein Ohrwürmchen«. Doch zwei Wochen später starb das Kind. Goethe konnte sich vor Schmerz nicht fassen. Er wälzte sich am Boden.
Was die Freundschaften betrifft, so wurden sie nach der Rückkehr aus dem Krieg sorgfältiger gepflegt. Goethe schrieb jetzt häufiger als zuvor an Knebel und Jacobi und legte wieder größeren Wert auf die geselligen Zusammenkünfte, vor allem mit Herder und Wieland. Wenn es draußen stürmt, muß man enger zusammenrücken, sagte er. Der Homerübersetzer Voß, der
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