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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Totschweigens.
    Selbstverständlich hat ihm keiner die Publikation untersagt. Der Verleger war äußerst entgegenkommend, obwohl er befürchtete, an dem opulent ausgestatteten und teuren Werk einiges Geld zu verlieren. So kam es denn doch nicht. Zum Bibliotheksschmuck taugte das Werk allemal. Doch der Erfolg in der wissenschaftlichen Welt, worauf es Goethe vor allem abgesehen hatte, stellt sich nicht ein. Allenfalls fanden, wie schon erwähnt, die Kapitel über die physiologischen Farben einige Anerkennung. Goethe hatte poetischen Geist in die Wissenschaft tragen wollen. Doch auf eine Weise, die ihm nicht genehm sein konnte, nahm man seine »Farbenlehre« als ein Dokument ästhetischer, nicht wissenschaftlicher Erfahrung. Die Schrift mochte geistvoll und gut geschrieben und tief und reich empfunden sein, doch leider geht sie, im wissenschaftlichen Sinn jedenfalls, an der Wahrheit vorbei. So lautete das Urteil. Man äußerte sich nicht so unhöflich wie einige Jahrzehnte später der naturwissenschaftliche Großordinarius Emil du Bois-Reymond, der Goethes Farbenlehre eine »totgeborene Spielerei eines autodidaktischen Dilettanten« nannte, doch in naturwissenschaftlichen Kreisen dachte man ebenso. Goethes Ärger darüber war so groß, daß er trotzig sein poetisches Verdienst verkleinerte, um das naturwissenschaftliche zu erhöhen:
Auf Alles was ich als Poet geleistet habe,
〈...〉
bilde ich mir gar nichts ein. Es haben treffliche Dichter mit mir gelebt, es lebten noch Trefflichere vor mir, und es werden ihrer nach mir sein. Daß ich aber in meinem Jahrhundert in der schwierigen Wissenschaft der Farbenlehre der Einzige bin, der das Rechte weiß, darauf tue ich mir etwas zu gute, und ich habe daher ein Bewußtsein der Superiorität über Viele
.
    Machen wir einen kleinen Zeitsprung in den Winter 1813/1814. Die Situation höflichen Verschweigens um Goethes Farbenwerk herum hält an. Goethe hat sich die Rolle des Hüters eines offenbaren Geheimnisses zugelegt. Er müsse
Proselyten machen
, sagt er einmal. Da schneit ihm in diesem Winter ein solcher Proselyt ins Haus: der junge Arthur Schopenhauer.
    Schopenhauer hatte soeben seine Dissertation über die »Vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde« abgeschlossen und lebte für eine Weile bei der Mutter, die mit großem Erfolg ihren Salon in Weimar führte. Arthur lag in heftigem Streit mit der Mutter, die es dem Sohn nicht erlaubte, nach dem Tode des Vaters bei ihr den Ersatzpatriarchen zu spielen. Der Machtkampf endete mit einem Zerwürfnis. Arthur wird das Haus im Frühjahr 1814 grimmig verlassen, und Goethe wird ihm sehr passend zum Abschied ins Stammbuch schreiben:
Willst du dich deines Wertes freuen, / So mußt der Welt du Wert verleihen.
    Zuvor aber war es zwischen ihnen zu einem regen Austausch über die »Farbenlehre« gekommen. Schopenhauer wird später diese Wochen zu den bedeutsamsten seines Lebens rechnen. Es wurden auch Differenzen ausgetragen, was Schopenhauers Verehrung für Goethe keineswegs minderte. Im November 1813 hatte Goethe in Johanna Schopenhauers Salon den jungen Philosophen zum ersten Mal in ein Gespräch gezogen.
Der junge Schopenhauer hat sich mir als einen merkwürdigen und interessanten jungen Mann dargestellt
, teilt er Knebel nüchtern mit. Dagegen gerät Schopenhauer ins Schwärmen: »Gepriesen sei sein Name in alle Ewigkeit!«, heißt es in einem Brief nach der ersten Begegnung.
    Goethe ist nicht an einem behaglich-geselligen Umgang mit Schopenhauer gelegen, was mit diesem auch nur schwer möglich wäre.
Mit Andern
, so sagt er einmal,
unterhalte er sich, mit ihm, dem jungen Dr. Arthur, philosophiere er
. Das Philosophieren bezieht sich auf die »Farbenlehre«. Goethe geht mit dem jungen Philosophen einige Textstellen des Farbenwerkes durch, erläutert einiges, Schopenhauer macht seine Anmerkungen, steuert Erkenntnistheoretisches bei, es werden Experimente angestellt, Bildtafeln zu Rate gezogen, man gebraucht das Prisma.
    Nach einigen Wochen gemeinsamer Arbeit notiert Goethe den später unter die »Zahmen Xenien« aufgenommenen Vers:
Trüge gern noch länger des Lehrers Bürden, / Wenn Schüler nur nicht gleich Lehrer würden.
Tatsächlich hatte Schopenhauer, dem Bescheidenheit fremd war, sich bald zum Besserwisser aufgeschwungen. Ausgehend von Goethes Physiologie der Farben, die seine Zustimmung fand, schickte er sich an, eine komplette Theorie der Entstehung der Farben im Auge zu entwickeln in der Überzeugung, daß Goethe

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