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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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zusammen mit der anderen Ursprungsmacht, der Dunkelheit. Aus dieser Polarität ergeben sich die Trübungen, Vermischungen, Steigerungen, die ganze Welt der Farben eben. Und darum geht es auch so bunt zu unter uns.
    Die Farben eröffnen für Goethe einen Weg zum Verständnis der menschlichen Grundbefindlichkeiten. Im Text der »Farbenlehre« selbst äußert er sich zurückhaltend, im § 920 heißt es beispielsweise:
Doch wir tun besser, uns nicht noch zum Schlusse dem Verdacht der Schwärmerei auszusetzen
. In den begleitenden und späteren Reflexionen wird Goethe um einiges deutlicher. So notiert er am 26. Mai 1807 im Tagebuch:
Lieben und Hassen, Hoffen und Fürchten sind auch nur differente Zustände unsres trüben Inneren, durch welches der Geist entweder nach der Licht- oder Schattenseite hinsieht. Blicken wir durch diese trübe organische Umgebung nach dem Lichte hin, so lieben u hoffen wir; blicken wir nach dem Finstern, so hassen und fürchten wir.
    Weil die Ansprüche der »Farbenlehre« aufs Große und Grundsätzliche gehen, vergleicht sich Goethe, der soeben seine Begegnung mit Napoleon gehabt hat, gerne mit dem großen Kaiser. So wie dieser das finstere Erbe der Französischen Revolution anzutreten und aufzuhellen hatte, so sei ihm eine nicht minder dunkle Erbschaft zugefallen, nämlich der
Irrtum der Newtonischen Lehre
, die er aufzuklären hätte – so äußerte er sich später gegenüber Eckermann. Wie Napoleon, habe auch er dabei tüchtig dreinschlagen müssen, entschuldigt er später den kämpferischen Geist, mit dem er zu Werke gegangen war. Im Vorwort zur »Farbenlehre« heißt es denn auch martialisch:
Es ist also hier die Rede nicht von einer langwierigen Belagerung oder einer zweifelhaften Fehde. Wir finden vielmehr jenes achte Wunder der Welt
〈Newtons Farbenlehre〉
schon als ein verlassenes, Einsturz drohendes Altertum, und beginnen sogleich von Giebel und Dach herab es ohne weitere Umstände abzutragen, damit die Sonne doch endlich einmal in das alte Ratten- und Eulennest hineinscheine
.
    Goethe sieht und inszeniert sich als Verteidiger des Lichtes gegen die Dunkelmänner der modernen Wissenschaft:
Ich erkannte das Licht in seiner Reinheit und Wahrheit
, sagt er zu Eckermann,
und ich hielt es meines Amtes, dafür zu streiten. Jene Partei aber trachtete in allem Ernst, das Licht zu verfinstern, denn sie behauptete
: das Schattige sei ein Teil des Lichtes.
    Die heutigen Naturwissenschaften lassen allenfalls Goethes Beobachtungen zu den physiologischen Farben gelten, vor allem die Entdeckung der sogenannten Nachbilder. Wird dem Auge eine bestimmte Farbe präsentiert, so ruft seine Eigentätigkeit die komplementäre Farbe hervor, entsprechend dem Farbenkreis: Gelb fordert Violett, Orange fordert Blau und Purpurrot fordert Grün. Die Versuche lassen sich leicht anstellen: blickt man lange auf die entsprechende Farbe und wendet dann den Blick auf eine weiße Fläche, so erscheint für einen Moment die Komplementärfarbe.
Diese Phänomene sind von der größten Wichtigkeit, indem sie uns auf die Gesetze des Sehens hindeuten
〈...〉
Das Auge verlangt dabei ganz eigentlich Totalität und schließt in sich selbst den Farbenkreis ab.
    Der subjektive Aspekt des Farbsehens bis hin zur Beschreibung der emotionalen Wirkung der Farben wird mit einem Reichtum an subtilen Beobachtungen erläutert, die sich im genauen Sinne auf das Phänomen beziehen, also auf die erscheinende Wirklichkeit der Farben. So aber wollte Goethe die Wissenschaft von der Natur überhaupt verstanden wissen: als Phänomenologie. Und so betrieb er sie.
Man suche nur nichts hinter den Phänomenen, sie selbst sind die Lehre,
lautet eine seiner Maximen. Dabei sollte man sich vor theoretischen Konstruktionen hüten, die den Blick auf die Wirklichkeit verstellen. Mit offenen Sinnen sollte man die Phänomene auf sich wirken lassen.
Theorien sind gewöhnlich Übereilungen eines ungeduldigen Verstandes, der die Phänomene gern los sein möchte.
Der Mensch, selbst ein Naturwesen, muß sich allerdings in Hochform bringen, um zu einem Organ der Naturerkenntnis werden zu können; auf diesem Weg ist Naturerkenntnis die Selbsterkenntnis der Natur: Sie schlägt im Menschen die Augen auf und bemerkt, daß sie ist, und erkennt, was sie ist. Die dazu erforderliche Hochform, in die sich der Mensch zu bringen hat, bedeutet für Goethe nicht die Mithilfe künstlicher Apparate – wiewohl er sich der Prismen und Teleskope auch ganz gerne bediente –,

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