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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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in den Briefen, die er über die Jahre mit Goethe wechselte, selbstverständlich nicht zur Sprache, obwohl Willemer sich sonst recht offenherzig gibt. Er habe zwar geschäftlich einiges erreicht, schreibt er, »aber meinem Geist sind die Fittiche beschnitten«. In diesem Brief aus dem Jahre 1808 gibt es allerdings eine Bemerkung, die sich wohl auf Marianne bezieht: »die Zukunft ist an eine törichte Hoffnung verspielt – von der eine 8jährige Erfahrung mich belehrt hat, daß sie nie in Erfüllung gehen wird.« Vor genau acht Jahren hatte er Marianne ins Haus genommen, und er wird in ihr wohl mehr gesehen haben als eine Pflegetochter, deshalb die Rede von der »törichten Hoffnung«, die nie in Erfüllung gehen wird.
    Goethe besucht Willemer Mitte September auf der Gerbermühle, mainaufwärts vor den Toren Frankfurts gelegen. Als er dann am 12. Oktober die Gerbermühle wieder besucht, kann er Christiane berichten:
Abend zu Frau Geheimerätin Willemer: denn dieser unser würdiger Freund ist nunmehr in forma verheiratet. Sie ist so freundlich und gut wie vormals
. In aller Eile hat der zweimalige Witwer am 29. September 1814 Marianne geheiratet. Hat ihm die Begegnung mit Goethe Mut gemacht, diesen Schritt zu wagen? Fühlte er sich durch Goethes Unkonventionalität in diesen Dingen ermuntert? Wurde vielleicht sogar zu dritt darüber gesprochen, und Goethe hatte zugeraten, weshalb dann auch Marianne einwilligte? Man weiß es nicht. Tatsache ist nur, daß die Hochzeit eilig erfolgte und kurz nach dem ersten Treffen im September.
    Beim ersten Treffen nach der Heirat am 12. Oktober ist Goethe mit Marianne, der frischgebackenen Frau von Willemer, alleine. Auf diesen Tag datiert Marianne ihr später geschriebenes Gedicht für Goethes Stammbuch, so bedeutsam ist ihr der Tag, an dem alles begann. Dieses Gedicht spielt anmutig mit der von Goethe gerne gebrauchten Redewendung »lang wie breit«. »Zu den Kleinen zähl ich mich, / Liebe Kleine nennst Du mich. / Willst Du immer so mich heißen, / Werd ich stets mich glücklich preisen, / Bleibe gern mein Leben lang / Lang wie breit und breit wie lang. // Als den Größten kennt man Dich, / Als den Besten ehrt man Dich, / Sieht man Dich, muß man Dich lieben, / Wärst Du nur bei uns geblieben, / Ohne Dich scheint uns die Zeit / Breit wie lang und lang wie breit.«
    Mariannes Talent, Gedichte zur Gitarre zu improvisieren und zu singen, war unter Freunden schon bekannt. Nun lernte auch Goethe es kennen und war davon bezaubert. Diese ersten Tage auf der Gerbermühle, die Gespräche, Mariannes Gitarrenspiel und Singen blieben ihm unvergeßlich. Er wird in den späteren Briefen häufig darauf zurückkommen. Am 18. Oktober 1814, dem Jahrestag der Viervölkerschlacht, lodern auf den umliegenden Hügeln nah und fern die Feuer und es rollen brennende Räder zu Tal. Marianne schenkt ihm anderntags eine Karte, auf der die Feuerstellen rot punktiert sind.
Noch sehr gern gedenke ich bei den roten Tüpfchen über den Bergen des Panorams der lieben Hand
,
die sie bezeichnet
, schreibt er an Willemer.
    Am 20. Oktober brach Goethe zur Rückreise nach Weimar auf. An Christian Heinrich Schlosser, einen jüngeren Verwandten seines ehemaligen Freundes und Schwagers, schrieb er von Weimar aus nach Frankfurt, es sei ihm dort
ein neues Licht fröhlicher Wirksamkeit
aufgegangen. So heimisch habe er sich gefühlt, so angeregt, daß er gerne halb in Weimar und halb in Frankfurt leben würde, um
verjüngt und zu früherer Tatkraft wiedergeboren zu werden.
    Im nächsten Jahr bricht er bereits am 24. Mai auf. Er bleibt einige Wochen in Wiesbaden, unternimmt von dort eine Reise den Rhein hinunter bis nach Köln in Begleitung des Freiherrn Heinrich Friedrich Karl vom Stein. Es folgt ein längerer Aufenthalt in Heidelberg bei Sulpiz Boisserée. Der Höhepunkt aber dieses Sommers, dieses Jahres, vielleicht überhaupt einer der Höhepunkte seines Lebens, waren die Wochen in Frankfurt, im Stadthaus der Willemers und auf der Gerbermühle. Als er nach fast fünf Monaten nach Weimar zurückkehrt, staunt man über seine frische Art und sein verjüngtes Aussehen. »Goethe ist 〈...〉 froh und wohl«, schreibt Meyer, »wie ich seit zehn und mehr Jahren ihn nicht gesehen.«
    In diesen Monaten entstanden zahlreiche Gedichte für den »West-östlichen Divan«, in den Frankfurter Wochen vor allem diejenigen, die dann im »Buch Suleika« versammelt wurden. Es sind Zeugnisse eines wirklichen lyrischen Zwiegesprächs, denn

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