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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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nicht gut geschlafen. Muß flüchten.« Das wurde oft so interpretiert, als wäre Goethe vor Marianne wie einst vor Friederike geflüchtet. Doch der plötzliche Aufbruch hatte wohl einen anderen Grund. Der Herzog hatte Goethe Ende September in Heidelberg besucht, und Goethe war mit ihm nach Mannheim gereist, wo sich Karoline Jagemann, als des Herzogs Mätresse jetzt Frau von Heygendorf, aufhielt. Goethe hatte dann, begleitet von Boisserée einen Besuch im nahen Karlsruhe unternommen, wo er im Auftrag des Herzogs bei Hofe vorsprach, und von dort war er nach Heidelberg zurückgekehrt, wo er Briefe vorfand, die ihn verstört haben mußten. Im Tagebuch unter dem 6. Oktober heißt es knapp:
Briefe. Entschluß zur Abreise.
Die Bemerkungen im Tagebuch von Boisserée geben ein wenig mehr Aufschluß: »Goethe will plötzlich fort; sagte mir, ich mache mein Testament 〈...〉 Die Jagemann hat ihn von Mannheim gedrängt und die andern Damen, er soll herüberkommen zu Tableaux und Attitüden. Er fürchtet den Herzog.« Und dann der bereits zitierte Satz: »Muß flüchten.« Er weicht also einem erneuten Zusammentreffen mit dem Herzog und Karoline aus, wobei er dem Herzog gegenüber keine Gründe für die plötzliche Abreise nennt, sondern ihm nur schreibt, sein
Dämon
habe ihn beim
Schopfe
gefaßt und
über Würzburg nach Hause
geführt
,
der Herzog möge ihm deshalb nicht
zürnen
. Durch eine Mitteilung oder Anweisung in den vorgefundenen Briefen wird er unsanft erinnert worden sein an den seit 1808 schwelenden Streit am Weimarer Theater zwischen ihm und der Jagemann, ein Streit, der zwei Jahre später zu Goethes Entlassung aus dem Amt des Theaterleiters führen wird.
    Trotz des Ärgers am Vortag der Abreise läßt ihn sein »West-östlicher Divan« auch in diesem Moment nicht los, und er skizziert die Einteilung in dreizehn »Bücher«. Der Abschiedsbrief, den er an diesem Tag schreibt, ist an Jakob von Willemer gerichtet, doch ist vor allem Marianne gemeint, wenn Goethe von seiner
Sehnsucht
spricht und dann fortfährt:
Doch das ist schon zu viel für meine Lage, in der sich ein Zwiespalt nicht verleugnet, den ich auch nicht aufrege, sondern lieber schließe.
    Mit der Bemerkung, den
Zwiespalt
lieber schließen zu wollen, begründet er, weshalb er bei der Rückreise den Weg nicht über Frankfurt nimmt, wie es wohl verabredet war, denn die Willemers warteten mit wachsender Enttäuschung.
    Boisserée, der Goethe bis Würzburg begleitete, notiert am ersten Reisetag: »Die Sicherheit, nicht mehr vom Herzog oder der Jagemann erreicht zu werden, beruhigt ihn sichtbarlich.« In dieser Hinsicht mag er beruhigt sein, in anderer ist er wehmütig gestimmt. Er notiert unterwegs Suleikas bange Frage an Hatem:
Kaum daß ich dich wieder habe, / Dich mit Kuß und Liedern labe, / Bist du still in dich gekehret; / Was beengt? und drückt und störet?
Und Hatem antwortet:
Ach, Suleika, soll ich’s sagen? / Statt zu loben möcht’ ich klagen!
    Von Weimar schickt Goethe dann noch drei Divan-Gedichte nach Frankfurt, es sind die eher schmerzlichen und düsteren. Das eine, unter dem Titel »Hochbild«, beschwört Helios, den Sonnengott:
Fährt
prächtig auf der Himmelsbahn, / Gewiß das Weltall zu besiegen, / Blickt er umher, hinab, hinan. // Er sieht die schönste Göttin weinen, / Die Wolkentochter, Himmelskind, / Ihr scheint er nur allein zu scheinen; / Für alle heitre Räume blind // Versenkt er sich in Schmerz und Schauer.
    Das andere, »Nachklang« betitelt, folgt in der späteren Anordnung unmittelbar auf das vorige:
Es klingt so prächtig, wenn der Dichter / Der Sonne bald, dem Kaiser sich vergleicht; / Doch er verbirgt die traurigen Gesichter, / Wenn er in düstren Nächten schleicht.
Und schließlich noch ein reflektierendes Gedicht mit dem Titel »Lesebuch«, das bereits ein Abstandnehmen erkennen läßt. Es beginnt:
Wunderlichstes Buch der Bücher / Ist das Buch der Liebe; / Aufmerksam hab’ ich’s gelesen: / Wenig Blätter Freuden, / Ganze Hefte Leiden, / Einen Abschnitt macht die Trennung. / Wiedersehn! ein klein Kapitel / Fragmentarisch.
    Zu dem
kleinen Kapitel
des Wiedersehens aber kommt es nicht mehr. Zwar hatte Goethe sich für das Jahr 1816 wieder eine Reise in den Südwesten vorgenommen, diesmal sollte Baden-Baden besucht werden, auch in Heidelberg wollte er wieder Station machen. Von der Gerbermühle war zunächst nicht die Rede. Doch ehe die Pläne in die Tat umgesetzt werden können, geschieht etwas, das sich schon seit

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