Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Marianne hatte auf seine Gedichte mit eigenen Versen geantwortet, die Goethe später in den Zyklus aufnimmt, ohne sie als die ihren zu bezeichnen.
So als hätte Goethe das Kommende geahnt, entstanden bereits bei der Abreise, am 24. Mai 1815, jene Verse, in denen die Partner des erotischen Zwiegesprächs
benamst
wurden. Noch war alles ein Spiel der Poesie – und es blieb dabei und war doch auch mehr. Indes läßt sich das sogenannte Wirkliche nicht vom Poetischen trennen. Beide, Marianne wie auch Goethe, haben wohl genau dieses Schwebende genossen, und es hat ihnen jene beschwingende Freiheit gegeben, sich in Liebe zu berühren ohne sich besitzen zu wollen. Der erotische Wechselgesang des »Buches Suleika« ist gelebte Literatur, nicht mehr aber auch nicht weniger.
Aber daß du, die so lange mir erharrt war, / Feurige Jugendblicke mir schickst, / Jetzt mich liebst, mich später beglückst, / Das sollen meine Lieder preisen / Sollst mir ewig Suleika heißen. // Da du nun Suleika heißest / Sollt ich auch benamset sein, / Wenn du deinen Geliebten preisest, / Hatem! das soll der Name sein.
Im anmutigen Spiel der lyrischen Wechselrede wird einmal der Name
Hatem
dort eingesetzt, wo als Reimwort eher ›Goethe‹ passen würde.
Du beschämst wie Morgenröte / Jener Gipfel ernste Wand, / Und noch einmal fühlet Hatem / Frühlungshauch und Sommerbrand.
In diesem Herbst auf der Gerbermühle entstand auch dieses lyrische Zwiegespräch. Zuerst Hatem:
Nicht Gelegenheit macht Diebe, / Sie ist selbst der größte Dieb, / Denn sie stahl den Rest der Liebe, / Die mir noch im Herzen blieb, // Dir hat sie ihn übergeben, / Meines Lebens Vollgewinn, / Daß ich nun, verarmt, mein Leben / Nur von dir gewärtig bin.
Darauf Suleika:
Hochbeglückt in deiner Liebe, / Schelt’ ich nicht Gelegenheit; / Ward sie auch an dir zum Diebe, / Wie mich solch ein Raub erfreut! // Und wozu denn auch berauben? / Gib dich mir aus freier Wahl; / Gar zu gerne möcht ich glauben – / Ja! ich bin’s, die dich bestahl.
Jedes einzelne Glied des Zyklus sei, so Goethe an Zelter im Mai 1815,
durchdrungen von dem Sinn des Ganzen
〈...〉
und muß von einem vorhergehenden Gedicht erst exponiert sein, wenn es auf Einbildungskraft oder Gefühl wirken soll.
Da wird zum Beispiel Suleika die Sentenz in den Mund gelegt:
Höchstes Glück der Erdenkinder / Sei nur die Persönlichkeit.
Dieser Weisheitsspruch, zumeist affirmativ zitiert, erscheint in einem anderen Licht, wenn man Hatems Antwort hinzunimmt:
Kann wohl sein! So wird gemeinet; / Doch ich bin auf andrer Spur, / Alles Erdenglück vereinet / Find’ ich in Suleika nur. // Wie sie sich an mich verschwendet, / Bin ich mir ein wertes Ich; / Hätte sie sich weggewendet, / Augenblicks verlör’ ich mich.
Mit dem Genuß der Persönlichkeit ist es oft nicht getan. Ist man nämlich verliebt, genügt sie einem nicht, weil die Geliebte fehlt. Sie erst macht mir mein Ich wertvoll. Entzieht sie sich, gehe ich mir selbst verloren. Für Liebende ist auch die Persönlichkeit etwas, das man am besten zu zweit genießt und nicht jeder für sich.
An mehreren Stellen des Zyklus wird ausdrücklich über den Zusammenhang von Poesie und Leben reflektiert. Suleika:
Nimmer will ich dich verlieren! /Liebe gibt der Liebe Kraft. / Magst du meine Jugend zieren / Mit gewaltiger Leidenschaft. / Ach! Wie schmeichelt’s meinem Triebe, / Wenn man meinen Dichter preist: / Denn das Leben ist die Liebe, / Und des Lebens Leben Geist.
Verliebte Gefühle sind das eine, etwas anderes sind sie im Spiegel der Dichtung. Dort wird mehr daraus:
wie schmeichelt’s meinem Triebe
. Von keiner Minderung und Verflüchtigung des Wirklichen in der poetisch-geistvollen Sphäre ist hier die Rede, von keinem Ersatz und keiner schwächlichen Sublimierung, sondern von einer Steigerung des Lebens, welche dieses Gedicht auf die schöne Formel bringt: Geist ist
des Lebens Leben
.
Das läßt sich verstehen im Sinne von Geist als schöpferischen Kern des Lebens, kann aber auch auf jene ominöse Verdoppelung hindeuten, die in dem berühmten Gedicht über das Ginkgo-Blatt zur Sprache kommt.
Dieses Baums Blatt, der von Osten / Meinem Garten anvertraut, / Gibt geheimen Sinn zu kosten, / Wie’s den Wissenden erbaut. // Ist es Ein lebendig Wesen? / Das sich in sich selbst getrennt, / Sind es zwei? die sich erlesen, / Daß man sie als Eines kennt. // Solche Fragen zu erwidern / Fand ich wohl den rechten Sinn; / Fühlst du nicht an meinen Liedern / Daß ich Eins und
Weitere Kostenlose Bücher