Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Nichts und der Vernichtung zeigt. Es eröffnet sich der beängstigende Horizont der großen Vergeblichkeit. Mephisto ist nicht mehr komisch, sondern der kosmische Nihilist. Als die Lemuren das Grab schaufeln, erklärt Mephisto:
Die Elemente sind mit uns verschworen, / Und auf Vernichtung läuft’s hinaus.
Und so bleibt Mephisto, obwohl er auch eine Witzfigur ist, der bedrohliche Komplize der Nacht, der Platzhalter des Nichts oder, wie ihn Faust anspricht,
des Chaos wunderlicher Sohn.
Mephisto hat viele, auch gegensätzliche Gesichter. Da gibt es einen, der zu vorbehaltloser antimetaphysischer Diesseitigkeit ermuntert, und einen, der das drohende Nichts verkörpert, die große kosmische Vergeblichkeit. Heute haben wir dafür andere Namen, zum Beispiel den der Entropie, die dem Universum sein Ende vorherzubestimmen scheint und den ganzen Lebensprozeß in der großen Vergeblichkeit enden läßt. Mephisto ist also auch schlechthinnige Infragestellung des Seins als sinnhafte Ordnung. Das erfährt Faust, und mit ihm hat es wohl auch Goethe erfahren, in dunklen Augenblicken. In der Szene »Wald und Höhle« wendet sich Faust im Selbstgespräch an seinen Genius, den
erhabenen Geist
, mit den Worten:
Du gabst zu dieser Wonne, / Die mich den Göttern nah und näher bringt, / Mir den Gefährten, den ich schon nicht mehr / Entbehren kann, wenn er gleich, kalt und frech, / Mich vor mir selbst erniedrigt, und zu Nichts, / Mit einem Worthauch, deine Gaben wandelt.
Goethes Naturverständnis war tief genug, um auch noch das Ungeheure, was alle sinnhafte Ordnung auflöst, zu erfassen. Er läßt Mephisto das Primat der Finsternis verkündigen: Am Anfang war die Finsternis,
die sich das Licht gebar
, und deshalb wird alles wieder in die Finsternis zurücksinken. Die Welt ist aus dem Nichts entstanden und wird wieder zum Nichts. Dieser mephistophelischen Idee vom Primat der Finsternis wird im Stück zwar widersprochen, aber sie bleibt doch schattenhaft gegenwärtig eben durch Mephisto, diesen Clown, der zugleich Platzhalter des Nichts ist. Vielleicht läßt Goethe deshalb am Ende der Phantasmagorie des Helena-Aktes Mephisto aus der Maske der Phorkyas heraustreten und sich zur riesenhaften Gestalt aufrichten, als sei er der Spielleiter des Ganzen. Das könnte bedeuten: Es ist doch alles nichts als ein Spiel, ein schöner Schein, etwas also, das mit dem Nichts kontaminiert ist.
Aber ist es wirklich so schlimm, wenn womöglich mephistophelische Inszenierungskünstler am Werk sind, die das Wirkliche in Schein verwandeln, sodaß man nicht mehr genau weiß, was gespielt wird?
Am farbigen Abglanz haben wir das Leben
, heißt es im Hymnus zum Sonnenaufgang in der ersten Szene des zweiten Teils. Dort wird der Mensch als das Wesen einer Zwischenwelt geschildert. Vor dem Einbruch des Ungeheuren, ob als reines Licht oder totale Finsternis, als vollkommenes Sein oder absolutes Nichts, schützen uns gemischte Verhältnisse, Brechungen, das Indirekte, der
Abglanz
. Wir benötigen eine Welt des Scheins, auch der Täuschung und Selbsttäuschung, und insofern ist Mephisto auch ein Zauberer, ein Illusionist, ein Inszenierungskünstler, als er mitwirkt an jener Sphäre, die wir zum Leben brauchen.
Es handele sich beim »Faust« um
ernste Scherze
, schrieb Goethe in seinem letzten Brief an Wilhelm von Humboldt. Zu diesen
ernsten Scherzen
gehört wohl auch die Himmelfahrt am Ende. Da geht es erhaben zu, doch nicht ganz. Mephisto liegt auf der Lauer, um den Engeln Fausts
Unsterbliches
wegzuschnappen. Dummerweise aber sind die Engel mit ihren Hintern
gar zu appetitlich
anzuschauen. Mephisto wird begehrlich,
Gemein Gelüst, absurde Liebschaft wandelt / Den ausgepichten Teufel an.
Und darum verpaßt er den entscheidenden Augenblick, da er hätte zugreifen müssen. Nun hindert nichts mehr die Himmelfahrt. Möglich geworden war sie erst durch eine Lüsternheit im falschen Moment.
Anmerkungen
Vierunddreißigstes Kapitel
Goethes Gehilfen. Eckermann und andere. Die Ausgabe letzter Hand.
Das Urheberrecht durchgesetzt. Zum letzten Mal Schiller. Zelter:
Kurze Geschichte einer langen Freundschaft. Abschiede: Frau von Stein,
Karl August, der Sohn. Letzte Ausfahrt Ilmenau. Über allen Gipfeln
ist Ruh. Gegen den »Dünenschutt der Stunden«. Sterben.
Den »Faust« zu beenden, war für Goethe das eine
Hauptgeschäft
der letzten Jahre, das andere war die Vorbereitung der Ausgabe letzter Hand. Es lag nahe, diese Ausgabe auch wieder bei Cotta erscheinen zu lassen.
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